die goldenen zitronen

handlung, nicht style

ted gaier in der markthalle

 

Am Anfang stand „Porsche, Genscher, Hallo HSV“, eine Parole, die man sich nicht ausdenken kann, sondern beim Aufwachen auf dem eigenen Arm steht. Die Goldenen Zitronen starteten im Hamburg der 80er mit ironischen so called Funpunk-Smashhits, die frei in vorangegangenen Musikstilen wilderten und sich gegen den musikalischen Dogmatismus der Punkszene richteten. Songs wie „Für immer Punk“ oder „Am Tag, als Thomas Anders starb“ zeigten, dass Musik immer auch das ist, was eine Öffentlichkeit und die einzelnen Zuhörenden daraus machen. Auf das Missverständnis von feierabendlicher Punk-Schunkelseligkeit antworteten die Goldenen Zitronen musikalisch mit zunehmender NoWave-Verweigerung und durchliefen im Vakuum des Nach-Wende-Patriotismus einen Prozess der bewussten Politisierung des Materials. Zum 18jährigen Jubiläum erscheint eine Art Best-Of-Doppel-CD, „Aussage gegen Aussage“, auf der man auch die Entwicklung von einem eindeutigen Bandgefüge zu einem musikalischen Forum verfolgen kann. Die Goldenen Zitronen sind derzeit nahezu die einzige Band, die die Widersprüche der Postmoderne inhaltlich wie musikalisch verarbeitet und noch dazu eine deutliche politische Analyse leistet. Wir treffen Ted Gaier in der Markthalle in Kreuzberg. Der Texter und Gitarrist im Feld der Goldenen Zitronen redet schnell und viel und scharfsinnig.

 

Für immer Punk – Verschwende deine Jugend

Wahrschauer: Hast du „Verschwende deine Jugend“ gelesen?

T: Ja, ich fand das gut. Aber den Hype finde ich sehr ärgerlich. Ich finde auch sehr ärgerlich, dass die Platte dazu bei Universal herauskommt, denn ein Drittel der Aufnahmen sind von Hilsberg, da wäre es also angebracht gewesen, dass der Sampler bei What’s So Funny About rauskommt, und auch im Buch zieht sich der Independent-Gedanke als roter Faden hindurch. Aber was die Aussagen anbelangt, finde ich auch einen Teil meiner Jugend darin wider, obwohl ich nicht aus einer der Städte komme, die darin erwähnt sind. Ich war in Süddeutschland zu der Zeit, in Ulm weitgehend, in München, Stuttgart und Zürich. Da kam alles ein bisschen später, aber viele Sachen, die im Buch beschrieben sind, waren bei uns ganz genauso. Z.B. dass man eine Band hatte, ohne überhaupt Instrumente zu haben, dass man schon Texte hatte, die man überall hingeschrieben hat, ohne dass man einmal geprobt hätte.

W: Und warum findest du den Hype darum ärgerlich?

T: Zum Beispiel diese Ausstellung in Düsseldorf – ich habe sie zwar nicht gesehen, aber ich finde, so geht das nicht. Punk in eine Galerie zu stellen ist nicht die adäquate Form. Und dann ist immer das Problem bei Geschichtsschreibung, wer dabei unten rausfällt. Natürlich finde ich gut, dass für die Generation, wo ich mich auch repräsentiert fühle, die Stimmung widergegeben wird. Gerade diese Veränderung, wie die erste Mittagspause  oder die erste Fehlfarben-Single Ska war, und dann die Platte ganz anders klingt - das sind ja alles Mysterien. Das ist auch die einzige Jugendbewegung, die ich kontemporär miterlebt habe. Ich war dann später Teddyboy - das war dann natürlich schon historizistisch - und auch eine Weile Mod. Gerade in Abgrenzung zu der immer verbreiteteren Idee von Können, von Produktionstechniken und –standards anfang der 90er bei Grunge, Hardcore, Crossover und dem ganzen Schrott, der Rock-Renaissance, waren Sixties-Aufnahmen Beweise. Diese Rohheit war eine Alternative, wenn man nicht Richtung Techno gehen wollte.

W: Hardcore und Crossover sind aber doch teilweise die Folgeerscheinungen aus den Punkzeiten...

T: 83 war für mich Punk irrelevant geworden, musikalisch. Das klingt ein bisschen komisch, denn mit den Zitronen wird man als Punkband gesehen. Das ist auch in „Verschwende deine Jugend“ ganz gut geschildert, das gilt für die ganze Generation, auch für Leute wie Peter Hein. Bei der ersten Aufnahme von ihm mit Family 5  rapt er, das war auf einem Sampler von Sounds Ende 1982. In dem Buch ist auch erwähnt, dass  Curtis Blow  Ende 1982 die Vorband von Palais Schaumburg  in München war, da habe ich zum ersten Mal ein Rapkonzert gesehen. Das war plötzlich ein anderer Horizont. Die Alternative innerhalb von Punk war zu dem Zeitpunkt Exploited, was extrem trist war, oder aufkommender Hardcore mit Black Flag, Dead Kennedys, was mich gar nicht mehr interessiert hat, was ich auch eine musikalisch falsche Entwicklung fand, dieses schneller, härter, lauter.

W: Aber nur musikalisch?

T: Nein, auch inhaltlich. Ich hatte keinen Bezug zu diesem protestantischen Punktum, das aus Amerika kam. Straight Edge fand ich extrem öde, das war das genaue Gegenteil von dem, wie ich Punk begriffen habe. Punk war Ekstase, nicht Anti-Ekstase. Wie eine protestantische Sekte kam mir das vor. Dann war mir der politische Begriff auch zu verschwommen, das ist in Amerika auch oftmals so ein sektenhafter Begriff, was natürlich auch damit zu tun hat, dass man in Amerika als gesellschaftliche Gruppe auch gar nicht relevant werden kann, weil es kein öffentliches Leben gibt, keine öffentlichen Orte. Das war auch meine Haupterfahrung auf dieser Amerika-Tournee: Es gibt kein Gemeinwesen in den USA, es gibt nur Stadtteile, die oft ethnisch auch in sich geschlossen sind oder zumindest nach Hautfarben getrennt. Entsprechend konnte sich die Idee von Hardcore und Punk nicht durchsetzen, weil das strukturell einfach etwas anderes ist. Hier in Europa hat man das auf den Marktplatz gestellt, so ein Outfit, entsprechend war man präsent, hat man Leute konfrontiert mit der Sache. Der Sinn von Punk hatte für mich schwer damit zu tun, wie man sich in der Fußgängerzone präsentiert, wie man dem Spießer, dem, was man ablehnt, den Spiegel vorhält oder die hässliche Fratze darstellt.

W: Sucht ihr jetzt immer noch die Konfrontation, oder welche Hintergedanken habt ihr jetzt bei eurem Auftreten?

T: Durch ein Outfit eine Konfrontation herbeizuführen, so Spießer zu provozieren, überhaupt eine Anklage gegen die Gesellschaft zu formulieren, sich als außenstehend zu definieren. Das ist natürlich nicht besonders altersgemäß, wenn man Ende dreißig ist... (lacht). Das ist heutzutage nicht mehr so einfach, wo man seine Outfits in der Bravo auswählen oder bei H&M sich seine Nietenarmbänder kaufen kann. Ich glaube nicht daran, dass das noch so funktioniert; dass es überhaupt eine ästhetische Form gibt, die noch wirklich die Konfrontation oder Polarisierung herbeiführen kann, die noch Anfang der 80er möglich war. Das ist kein Herabgucken auf heute, das ist einfach ein Fakt, dass die Geschultheit von Codes, von Pop, so weit fortgeschritten ist, dass sie die ganze Gesellschaft durchdrungen hat. Die Erfahrung, die uns alle geprägt hat, oder die auch in dem Buch vorkommt, war, dass es Lehrer gab, die noch Nazis waren, oder Eltern, oder Großeltern, diese ganze Gesellschaft noch geprägt war von dem Krieg, von dem Verdrängen. Und die Bullen zum Großteil wirklich Arschlöcher waren, und auch Bullen geworden sind, weil sie bock drauf hatten, gerade so Leuten wie uns, die aussahen wie Schwuchteln, auf die Fresse zu hauen. Diese Teilung durch die Gesellschaft hat sich völlig aufgelöst. Zum Beispiel gab es vor anderthalb Jahren in Hamburg beim Pudel so eine Snob-Veranstaltung, die geschützt wurde, es gab so ein paar Scharmützel, und die Bullen haben das Promi-Fest abgesperrt. Da standen wir, haben rumkrakelt und Geld geschmissen, dann hat ein Bulle Jochen erkannt und meinte: „Hey, Sie sind doch Herr Distelmeyer, von Blumfeld!“ Und Jochen: „Ja.“ Dann konnten die sich unterhalten, über eine Bullenabsperrung hinweg. Sowas ist einfach undenkbar im Jahre 81. Insofern behaupte ich, dass es mit diesen Äußerlichkeiten und Symbolismen nicht mehr richtig funktioniert.

 

Aussage gegen Aussage – Phase Eins und Zwei

W: Ihr habt euch also gar nicht als Punkband gesehen?

T: Wir dachten, wir sind Punk innerhalb von Punk. Wir waren in diesem Milieu von Hafenstraße und autonomen Jugendzentren, wo es bestimmte Standards gab, antifaschistisch, antisexistisch, usw., die waren ja klar und nach außen hin abgesichert. Das waren oftmals erkämpfte Orte, so hatten wir gar nicht das Bedürfnis, das den Leuten, die eh überzeugt sind, noch zu präsentieren. Außerdem hatten wir einiges auszusetzen an dem Dogmatismus und dem Nervkram, dem Heroismus, diesem hauptberuflichen Faschistenjägertum, wo sehr viel Pathos und Machotum drin war. Das klingt jetzt natürlich viel intellektueller, als das damals in unserem Bewusstsein war, wir fanden die irgendwie spießig, wir fanden Straight-Edge-Leute spießig, wir empfanden Fußgängerzonenpunks, die so Exploited-mäßig draufwaren, genauso wie Hippies - wir konnten da überhaupt keinen Unterschied sehen, und Hippies waren das schlimmste überhaupt, vorher. Das ganze Vorzeichen unserer sogenannten Funpunk-Zeit war eine Abgrenzung innerhalb von Punk. Der richtige Einschnitt für uns, die Ernsthaftigkeit, die dann reinkam, und das Bedürfnis, sich politisch zu äußern, hat mit dem Mauerfall zu tun, mit wegbröckelnden Standards, die wir in den Milieus, in denen wir uns aufgehalten haben, für gesichert gehalten hatten. Dieser Rechtsruck, diese Faschisierung, die plötzlich in weiten Teilen der Bevölkerung zu tage kam, war für uns vorher undenkbar gewesen. Das hat für uns die Notwendigkeit gezeigt, sich zu äußern - zumal sich zu dem Zeitpunkt niemand dazu geäußert hat. Nach Hoyerswerda gab es eigentlich keine Reaktionen, es gab nur Schweigen gegen den Hass, es gab Lichterketten. Auch nach Rostock – ein Jahr nach Hoyerswerda war das Thema sowieso wieder weg – gab es eigentlich niemand, der dagegen etwas formuliert hat. Deutschsprachiger HipHop fing ja erst an, wo sich in der ersten Generation dann auch viele Emigrantenkinder zu Wort gemeldet haben - es sind ja nicht immer diese White-Middleclass- Rapper gewesen. Und in unserem Milieu gab es nur Parolen, „Gib den Nazis keine neue Chance“, das ging nicht besonders viel weiter. Unsere Idee war, differenziertere Aussagen zu machen. Es ging dann nicht mehr um Style, es ging nicht um die Frage, in welchem Outfit man das präsentiert. Ich hatte auch nie Schwierigkeiten, mit Hardcore-Leuten oder humorlosen Antifa-Leuten zusammen zu demonstrieren oder Aktionen zu machen, das hatte plötzlich eine andere Ernsthaftigkeit nach 89, wo es eigentlich darum ging, in einem politisch ernsthafteren Sinne Bündnisse zu schaffen, und nicht mehr in einer verspielten Popwelt, wo es mehr um Codes geht, mehr um Symbole als um Handlung. Diese Ernsthaftigkeit sieht man in den Platten, eigentlich ab der „Punkrock“, wo auch „Zehntausend Hooligans“ drauf ist, und ganz konsequent dann nach der HipHop-Maxi und „Totschlag“. Ab da war es wirklich nicht mehr so interessant, ob man einen Anzug trägt oder nicht. Popcodes interessieren mich nicht mehr so richtig.

W: War von dem Rechtsruck auch in euerm Milieu etwas zu spüren?

T: In gewisser Weise war es sehr lehrreich für bestimmte Diskussionen, wenn man jetzt z.B. verfolgt, wie Antisemitismus zum ersten Mal inhaltlich in der Linken richtig diskutiert wurde, und da ja ein scheinbar paar Leichen im Keller sind. Früher war man einfach für die Palästinenser, ganz klar. Da gab es in der Hafenstraße Boykotte gegen israelische Strände. Diese Selbstgewissheit des „Wir sind eh die Guten“, „Für uns gibt es keine Nation“, des Maximalforderungen-Rumposaunens, ist eben weggebröckelt. Dass der Zusammenfall des Realsozialismus eine Selbstbewusstseinskrise bis hin in die undogmatische Linke gebracht hat, hat mich gewundert. Denn eigentlich war für uns das sowjetische Modell nie interessant. Trotzdem war es anscheinend gut, dass es da war, zumindest als Druckmittel gegen die westlichen kapitalistischen Staaten, auch in bezug auf Sozialpolitik. Und es bleibt schon der Eindruck, schwächer geworden zu sein, dass in der Folge einiges personell weggebröckelt ist, wie eine organisierte Antifa, die erst mal erstarkt ist in den 90er Jahren, in der Notwendigkeit, dass es praktisch etwas zu tun und Interventionsmöglichkeiten gab, dann aber eine Desillusionierung und ein Zusammenfallen stattgefunden hat.

W: Siehst du da mit dem politischen Rechtsruck in vielen europäischen Ländern in den letzten Jahren auch wieder ein Erstarken von Antifa oder linker Politik?

T: Linke Politik an sich, Diskurszeug, ist natürlich noch mal was ganz anderes, was man jetzt Antiglobalisierung nennt, das sind dann auch andere Leute, viel kompliziertere Abläufe und Organisationsformen als bei der handfesten Praxis der Antifa. Das überschneidet sich nicht unbedingt von den Leuten und dem Bedürfnis her, das natürlich auch einen gewissen Glam hatte. Es kommt ja immer auf das Milieu an. Das ist mir auf den Grenzcamps speziell in Ostdeutschland aufgefallen, dass es in Dörfern oder Städten extrem davon abhängig ist, ob es da ein paar gute Leute gibt, dann ist das Jugendzentrum links - aber im allgemeinen sind das halt Glatzen. Das ist ganz seltsam abhängig von einer bestimmten Struktur, ein paar Leute können da den Unterschied machen. In den 80ern war es undenkbar, dass es einen rechten Mainstream gibt, eine bestimmte Jugendkultur, die quasi ganze Landstriche in den Griff bekommt. Punk und Antifa war Ende der 80er ästhetisch ja eine Sache, was vorher auch nicht so war; Punk war ja erst mal nicht unbedingt links, das kommt in dem Buch ja auch vor, das hat sich erst positioniert durch die Konstellation, dass es plötzlich rechts gab, Skins und Nazipunks. Als ich letztes Jahr in Prag beim IWF-Forum war, dachte ich, ein Problem ist heute schon, dass diese ästhetische Geschlossenheit nicht mehr da ist, dass automatisch die Leute auf einem Haufen sind. Das hat mit Styles, Musikgeschmack und postmodernen Widersprüchen zu tun, in denen sich alle von uns befinden. Das kann auch eine Chance sein, das kann einem auch helfen, dass man für die andere Seite unberechenbarer wird, aber es ist natürlich irgendwie vorbei, dass die linke Idee Dreadlocks hat, Fugazi hört und in besetzten Häusern wohnt, ha, ha.

 

Represent! Represent! 30.4.2002

W: Entstehen die Songs, um eigene Diskussionsstände zu formulieren, oder will man die gezielt nach außen tragen und Leute erreichen? Ich musste daran denken, wie ihr am 30.April auf dem Oranienplatz gespielt habt, davor Fettes Brot, was ja eher volksfestartig war, und ich wusste nicht, wer was damit anfangen kann. Meinst du, das bringt irgend etwas?

T: Na klar bringt das was. Spaß mir, auf alle Fälle (lacht). Das Konzert ist ein ganz bizarres Beispiel, uns passiert das ja nie, dass wir vor 7000 Leuten wirklich funktionieren. Das hatten wir früher mal, und das ist schiefgegangen. Wir haben ja auch mal in Roskilde gespielt, oder mit Living Colour  im Kieler Stadtpark vor 20000 oder 30000, oder im St. Pauli-Stadion mit Slime  und den Hosen, und das funktioniert bei uns normalerweise nicht. Das war für mich auch ein absurder Moment, denn das war mal der Anlass oder die Leute, wo es gepasst hat, schien’s mir. Quasi war jedes Stück passend an dem Abend, wo der Gedanke von dem Stück vernetzt ist mit den Leuten, die da sind. Und trotzdem bedienen wir nicht wie Slime, wenn die im Stadion spielen, dass es nur abgeht: Ja, scheiß Bullen, wir wollen keine Bullenschweine! Das kann man mitsingen, „Das bisschen Totschlag“ kann man nicht so richtig mitsingen. Das ist ein negativer Refrain, nicht eine Parole, die man nach außen selbstbewusst brüllen kann, sondern eher ein Zweifel. Ganz generell ist das bei uns so eine eingebaute Handbremse, das ist keine Identifikationsmusik in dem Sinne, wie „Hier kommt Alex“ oder „Wir wollen keine Bullenschweine“. Was ja auch gezielt ist. Wir sind ja durch die Popularität mit Funpunk lange Zeit mit einem Publikum konfrontiert worden, das uns unserer Meinung nach falsch verstanden hat. Auf den Konzerten Ende der 80er waren Fußballprolls, die „Für immer Punk“ hören wollten, und die haben uns wirklich die Nerven getötet.

W: Das war doch auch die Zeit, wo mit den Hosen  noch relativ viel Verbindung war, oder?

T: Nee, das war noch ein bisschen vorher. Die Hosen  kennen wir privat eigentlich schon seit es sie gibt, als Fans. Ich habe nur immer einen Irrtum mit den Hosen  gehabt, weil ich dachte, die ganzen Alkoholverarschungen wären total weit weg von den Personen selber - diese Gemütlichkeit, der Lokalpatriotismus, die längste Theke der Welt und der ganze Schrott. Und auf der Tour mit ihnen 1986 ist uns klargeworden, dass das für uns in eine völlig falsche Richtung geht, diese Popularität, die wir da haben – das ist ein totales Missverständnis. Plötzlich stehen wir in einer Halle mit 3000 Leuten, die alle „Ficken, Bumsen, Blasen“-T-Shirts anhaben und Schnauzbärte, wo plötzlich alles Real-Bierzelt wird. Wir haben lange versucht, dagegen anzusteuern, haben quasi an unserem Bewusstsein gefeilt, was wir sagen wollen und was nicht, und welche Signale wir aussenden wollen.

W: Blieb dann der Bezugspunkt für euch der Kiez?

T: Das Milieu gibt’s erstmal nicht mehr so. In den 90ern war unser Umfeld dann der Wohlfahrtsausschuss, dazu gehörten Leute wie Diedrich Diedrichsen, Jochen Distelmeyer, oder die Spex-Leute in Köln, oder Isabel Graf, die die „Texte zur Kunst“ macht, das stand dann in einem anderen Kontext, dessen Diskussionen auf der „Totschlag“ widergespiegelt sind. Das Hamburger Milieu ist natürlich schon unsere Grund-Sozialisation, auf die Art sind wir politisiert, obwohl wir uns ästhetisch als Opposition darin begriffen haben. Das ist schon die Basis, die uns von der Basis von Blumfeld vielleicht unterscheidet, mit seinem politischen Bewusstsein. Das ist auch der Grund, warum ich nach wie vor Aktivist bin, nach Straßburg ins Grenzcamp fahre, oder nach Prag zum Randalieren (lacht). Was nicht unbedingt für alle in der Band gilt, das ist unterschiedlich vom Werdegang der einzelnen Leute.

W: Ist für euch dann auch eine Frage, was ihr bewegt oder wen ihr erreicht?

T: Eigentlich ist das die ursprüngliche Frage von Kunst. Weil Kunst Realität in eine Symbolik und in unbewusste Wahrnehmungsbereiche transferiert, lässt sich das gar nicht so feststellen. Was uns anbelangt, im konventionellen Sinne: Beeinflusst ihr Leute, die außerhalb eures Backgrounds sind und nicht eh schon wissen, was los ist - würde ich sagen, im Vergleich mit EA80  bestimmt. Wenn man uns mit Chumbawumba vergleicht, weiß ich nicht genau, ob das mit den ganzen Kompromissen, die sie ästhetisch machen, mit den ganzen Plattheiten und Lahmheiten - sich als Nonne verkleiden und so was - noch erkennbar ist als die Idee, die ich sozusagen vermittelt wollen haben würde, wenn ich mich als Anarchist begreife. Dann kommt es in einen Bereich, wo man nicht mehr nachmessen kann, ob das so ist oder nicht. Ich habe schon den Eindruck, dass man Leute erreicht, die latent schon Sympathien haben, die aber vielleicht in Ermangelung von Kontakt dazu da gar nicht rankommen. Das ist für mich auch so gewesen, als jemand, der aus der Provinz kommt. Mich haben Bands ganz stark beeinflusst, die mal in dem Kaff vorbeikamen. Das erste Abwärts-Konzert oder auch DAF, als gerade der Mussolini rauskam, das hat mein Leben verändert. DAF hat mein Leben bestimmt verändert. Obwohl man jetzt nicht genau sagen kann, worin das jetzt bei Mussolini besteht.

 

Der große dicke König

W: Auf dem Cover der neuen Platte ist Helmut Kohl. Wie kam es dazu?

T: Das hat unser Künstler so entschieden. Daniel [Richter] hat schon 1984 die allerersten Plakate für uns gemacht, und ich glaube, er wollte nicht wieder dieses Gestückel machen. Er fand, dass Kohl als Hintergrund für die Zeit, die bei uns abgehandelt ist, passend wäre. Die 80er-Bewegung war ja noch sehr sozialdemokratisch beeinflusst, das weiß ich ja auch noch von der Zeit vor den Zitronen. In „Verschwende deine Jugend“ kommt das ja auch vor, und der englische Punk ist ja noch von der Zeit vor Thatcher geprägt, von der sozialdemokratischen Phase. Zeitgleich ist Kohl schon ein Kennzeichen dafür, wann mit Punk Schluss war. Wir waren erst sehr dagegen, sowohl Schorsch [Kamerun] als auch ich fanden das echt beleidigend - als ob wir was mit Kohl zu tun hätten! Schmidt und Kohl, das war nicht so der Unterschied.

W: Und Schröder und Kohl?

T: Das geht jetzt in andere Bereiche. Diese Schreckensszenarien, wenn DER an die Macht kommt, die treten nicht so ein, und natürlich macht’s trotzdem einen Unterschied. Auch durch Berlusconi oder Haider sind die Länder nicht faschistische Länder geworden, deswegen stumpft ja ein Argument gegen Haider auch ab, das sind dann keine 100000 mehr nach einem halben Jahr, weil das irgendwie in so einem Rahmen von parlamentarischer Demokratie so weiterwurschtelt. Es ist immer die Frage, wo man die Prioritäten setzt, ob man der Meinung ist, dass man sich bei einer Regierung für bestimmte Themen eine Besserung oder keine Verschlechterung erhofft, und ob es einem dann wichtig genug ist, denen die Stimme zu geben, oder ob man globalere Ansprüche an Politik hat, die dann ehrlich gesagt auch gar nicht real sind. Denn man hat als Anarcho mit der Idee der Totalablehnung und der Maximalforderung immer das Problem, dass schon allein die Mehrheit der Bevölkerung das nicht haben will. Insofern ist die Frage, was man überhaupt von Politik erwarten kann. Politik ist dann vielleicht doch so was wie der kleinste Kompromiss. Auch bei Schill haben einige gesagt, wenn der an die Macht kommt, ist die Hölle los, und die anderen, wieso, das wird doch überhaupt nicht anders. Und irgendwo dazwischen ist es dann. Real ist es natürlich, wenn du Junkie bist, nicht besonders gut, dass Schill an der Macht ist, und auch als ausländischer Mitbürger, speziell als Schwarzer, hast du überhaupt nichts zu lachen; als durchwurschtelnder Bohemien kannst du das gar nicht so richtig wahrnehmen, wie sich die Situation verschärft hat. Es ist ja auch so fies, wie du vereinzelt wirst, du kannst auch nicht eintreten stellvertretend für die, die jetzt Opfer werden von so einer Politik, du kannst ja nicht permanent Patrouillen aufstellen, die bei Polizeikontrollen einschreiten. Insofern bin ich auch immer im Zwiestreit, ob ich überhaupt jemanden wähle oder ungültig oder so. In Hamburg gibt es eine Initiative, die behauptet hat, 150.000 Aufrufe im Namen der Innenbehörde verschickt zu haben, Briefwahl zu beantragen und sie an ausländische Mitbürger zu geben, die nicht wahlberechtigt sind. Sie haben eine gefakte Presseverlautbarung im Namen der Innenbehörde herausgegeben, die auch abgedruckt wurde, dass man 80% Wahlbeteiligung doch toppen könnte, wenn die, die nicht wählen wollen, ihre Stimmen weitergeben, dann könnte man auf 90% kommen. Dann hätte Hamburg die höchste Wahlbeteiligung, das wäre doch gut für Hamburg, in dem Tenor. Das wurde medial etwa aufgeblasen und wird gerade verfolgt, denn das ist schon Wahlfälschung und kann bis zu fünf Jahre geben, und jetzt hat auch der Bundeswahlleiter Ermittlungen eingeleitet.

W: Wieso überhaupt jetzt ein Rückblick oder eine Best-Of?

T: Man will ja seinen Platz in der Geschichte haben, ha, ha. Ich glaube das war die Idee von Ale, unserem früheren Drummer und Labelchef, und irgendwie erschien uns das passend, 18 Jahre ist ja auch volljährig, ha, ha. Beim Anhören fiel uns auch auf, dass das jetzt ein guter Zeitpunkt ist, wo man das in zwei Phasen, die eine CD und die andere CD einteilen kann. Deswegen auch Aussage gegen Aussage. Das schöne an uns ist, wir werden ja nicht wirklich geliebt, haben aber auch deswegen nicht so viel Ballast. Es ist nicht so, dass wir irgendwem verpflichtet wären, dass wir irgendwelche Erwartungen bestätigen müssten, außer vielleicht, dass wir korrekt und ehrlich sind, eine Sache aufrechterhalten, oder ein Symbol bleiben(lacht). Aber dadurch, dass wir uns eigentlich immer wieder dem Zugriff von Identifikation oder Überidentifikation entzogen haben, ist es uns möglich geblieben, das immer in einer offenen Form zu halten. Z.B. wirft uns niemand vor, dass wir nur noch zwei von der Originalbesetzung sind. Aber das war bei uns nie die Frage, weil vielleicht der, der ursprünglich als Gitarrist angefangen hat, auf der ganzen Platte gar keine Gitarre mehr spielt. Dahinter sind ja nicht nur wir, das reflektiert eigentlich eine Szene, deren Teil nach wie vor bestimmte Leute sind, wie Chicks of Speed, Jochen Distelmeyer oder Hanajo. Wir sind auf ganz verschiedene Arten mit anderen Leuten verknüpft, und ich glaube, man sieht auch, dass es bei uns nicht um das Künstlersubjekt geht, nicht um den Herrn Kamerun oder den Herrn Gaier, und die holen sich so Leute ran. Die Band hat scheinbar einen eigenen Sound – manchmal proben wir ja aus Zeitnot oder wenn wir neue Stücke machen in verschiedenen Konstellationen, ohne mich oder ohne Schorsch oder ohne Thomas, und scheinbar hat die Band so ein Eigenleben, ist das ein Klangkörper, der für sich steht. Und das garantiert uns immer noch, dass wir Platten machen, die eine zeitgenössische Relevanz haben, und zu Aussagen kommen, die über eigene Befindlichkeiten hinausgehen. So sehen wir die Band, als ein Forum.

 

Immer diese Widersprüche

W: Weil du vorhin meintest, dass der Universal-Deal so ärgerlich ist, bleibt diese Indie/Major-Frage für euch noch wichtig, wenn wir von Chumbawumba  reden oder von Blumfeld...

T: Bei Blumfeld  habe ich das damals bedauert, weil wir wirklich sehr eng befreundet sind und wir die beiden letzten waren, die widerstanden haben. Seit vier Jahren sind die ja bei dem Major, aber das ist natürlich die persönliche Entscheidung von den Leuten, und ich kann das nicht so ideologisch sehen. Ich kann Leuten auch nicht vorwerfen, wenn sie Schröder wählen oder so, es gibt immer irgendwelche Gründe warum dann doch. Im Fall von Majors ist es sogar noch einfacher, weil man ein Auskommen hat. Das ungerechte ist aber, so eine Band wie Blumfeld ist ein Hirschgeweih bei denen im Büro. Denn natürlich wird sich das nie rechnen. Alle meine Kumpels, das gilt auch für die Sterne  und andere Bands, haben sich für die Majors nicht gerechnet. Und trotzdem sind die Majors scharf darauf, sie zu haben, weil das Bands sind, die einen Inhalt und eine Motivation haben, die irgendwo anders angesiedelt ist als bei reiner Eitelkeit, Geldmachen oder Handwerk präsentieren wollen. Die Frage stellte sich für uns am stärksten 1988, als die Ärzte sich aufgelöst hatten, wo die ganze Maschinerie, Bravo und so, etwas Neues brauchte. Die wollten Homestories bei uns machen, wir hatten auch von vier, fünf Plattenfirmen Angebote. Damals hat Tim Renner [jetziger Universal-Chef] auch ein Angebot gemacht, da stand so was drin wie „Die Zitronen sind ein developing act“. Wie gesagt, wir haben damals noch nicht so reflektiert über Sachen nachgedacht, aber zu dem Zeitpunkt war uns instinktiv irgendwie klar, dass wir dazu kein bock haben, dass das Verrat ist. Wir hatten auch kein bock auf die Typen und das ganze Gehabe. Wir dachten auch, dass man Indie genauso viel verkaufen kann, was dann aber doch nicht ganz stimmt, was ja so ungerecht ist. Aber bereut hat das niemand von uns jemals, im Gegenteil: Wenn ich sehe, was für Schwierigkeiten alle anderen Bands mit ihren Majors haben, weil einfach die Proportionen zwischen Euphorie und Desinteresse nicht stimmen, wie ein so schwieriger Apparat intern gegen sich selbst arbeitet, das habe ich ja auch zur genüge mitgekriegt in verschiedensten Sparten, bei Techno ist das ja auch so, dann bin ich heilfroh, dass das bei uns so gelaufen ist. Wir hatten z.B. noch nie über Anwälte Kontakt mit irgendwem, obwohl wir schon fünf Labels hinter uns haben. Weil irgendwie klar ist, wir machen das auf Sympathiebasis, wenn es Gründe gibt, dann gibt’s auch Gründe. Das ungerechte ist, dass du als Indie so kleinkrämermäßig sein musst, was du bestellst, musst du verkaufen, nur so hältst du deinen Laden am Laufen. Die Ware, die du rausbringst, muss sich einzeln rechnen. Ein Major kann sich erlauben, dass er bei 80-90% der Acts reinbuttert und draufzahlt, und ein Grönemeyer reißt es dann wieder raus. Deshalb ist es auch keine freie Marktwirtschaft, sondern ein Privilegiertentum von denen, die Geld haben.

interview: paul schlagk und peer.

text: peer

 

Die Goldenen Zitronen. Aussage gegen Aussage. Buback Tonträger, 2002.

Jürgen Teipel. Verschwende deine Jugend. Suhrkamp, 2002.

Die Goldenen Zitronen gemeinsam mit Easy Business und Eric IQ Gray. 80 Millionen Hooligans/die Bürger von Hoyerswerda. Sub-Up, August 92.