WS 1999/2000

17 711 HS

Musik der Literaten

Dozent: Prof. Dr. Tibor Kneif

Schriftliche Ausarbeitung des Referats vom 9.11.1999

 

Musik der Frühromantiker: Wackenroder und Tieck

 

 

6.3.2000

 

Peer Göbel

pgoebel@math.fu-berlin.de


Inhalt

0. Einleitung................................................................................................... 3

1. Biographisches.......................................................................................... 4

2. Entstehungsgeschichte......................................................................... 5

3. Inhaltlicher Überblick........................................................................... 8

3.1 Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders........................................................................ 8

3.2 Phantasien über die Kunst................................................................................................................................. 10

4. Einflußgebiete und Problematiken.................................................... 12

4.1 Ästhetischer Konflikt Gefühl/Wissenschaft.................................................................................................. 12

4.2 Vergöttlichung der Kunst.................................................................................................................................. 14

4.3 Gegensatz Leben <-> Kunst............................................................................................................................... 15

4.4 Absolute Musik, Emanzipation der Instrumentalmusik............................................................................. 20

5.Fazit............................................................................................................. 25

6. Anhang....................................................................................................... 26

7. Literatur................................................................................................... 28

 

0. Einleitung

„Die Literatur über Musik ist kein bloßer Reflex dessen, was in der musikalischen Praxis der Komposition, Interpretation und Rezeption geschieht, sondern gehört in einem gewissen Sinne zu den konstitutiven Momenten der Musik selbst.“[1]

Carl Dahlhaus

 

Das ästhetische Bild, das eine Zeit von Musik hat, bestimmt auch die Form, den Stellenwert und die Entwicklung der Musik in dieser Zeit. Musikdeutung ist nicht der rein wissenschaftlichen Literatur vorbehalten, sondern spiegelt sich auch in der Unterhaltungsliteratur wider. Belletristik als populäres Medium erreicht eine breitere Öffentlichkeit als jede akademische Fachliteratur und kann unter Umständen mehr Hinweise auf die Musikauffassung eines Zeit geben und einen größeren Einfluß auf sie ausüben.

 

Die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ und die „Phantasien über die Kunst“ von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck wurden an der Grenze zum 19. Jahrhundert vor allem als neuer Impuls in der Ästhetik der bildenden Kunst wahrgenommen, und der Anteil der sich auf Musik beziehenden Texte kam erst in der Nachgeschichte der Romantik zur Geltung[2], als sich im Rückblick auf die Geschichte der romantischen Musik die Frage nach deren Ursprüngen aufdrängte.

 

In der Bearbeitung des Themas stand ich vor dem Problem, daß sich das literarische Material in einzelne Aufsätze gliedert, sich die Ideen und die dahinterstehende Vorstellungswelt aber nicht chronologisch durch die einzelnen Texte ziehen, sondern immer wieder aufscheinen und vor allem in diesem Gesamtkontext zu sehen sind. Trotz ihres Charakters als „Kunst über Kunst“[3] erwiesen sich die Texte als in dem Sinne dankbar, daß theoretische Prämissen ebenso enthalten sind wie ihre konsequente Umsetzung in die dichterische Form. Obgleich ich mich im Referat vor allem auf die sich auf Musik beziehenden Abschnitte konzentriere, ist es doch wichtig, den Hintergrund der Ästhetik der bildenden Kunst im Hinterkopf zu haben, von dem Wackenroder und Tieck ihren Ausgangspunkt nehmen.

So werde ich nach einigen bibliographischen Anmerkungen und der Entstehungsgeschichte der Werke zunächst einen Überblick über das literarische Material geben, um dann im Hauptteil der Arbeit inhaltlich zu gruppieren und den Text direkt zu untersuchen. Das Ziel des Referats ist, die zentralen Kategorien der in den Werken repräsentierten Musikauffassung herauszustellen und sie in ihren rezeptionsgeschichtlichen Kontext zu setzen.

 

1. Biographisches

Die Jugendfreunde Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder wurden beide 1773 in Berlin geboren, Tieck am 31. Mai und Wackenroder am 13. Juli. Während Wackenroders Familie eine Tradition von Geistlichen, Professoren und Juristen besaß, war Tiecks Vater Seilermeister. Wackenroders Vater hatte eine hohe preußische Beamtenposition inne, als Erster Justizbürgermeister und Geheimer Kriegsrat. Ihm werden Sorgfalt und Ordnungsliebe als Wesenszüge zugeschrieben, wie Strenge, Bescheidenheit und Zurückhaltung. Für seinen Sohn hatte er die Juristenlaufbahn vorgesehen, ließ ihn jedoch auch Geige und Komposition bei Karl Fasch, dem Begründer der Berliner Singakademie, und Zelter lernen.

Wackenroder mußte sich nach dem Gymnasium noch ein Jahr in Berlin bei einem Assessor ausbilden lassen, bevor er wie Tieck an die Universität gehen konnte. Von der literarisch produktiven Freundschaft zeugt der erste Briefwechsel 1792-93 zwischen Berlin und Halle/Göttingen, der Themen aus Theater, Literatur und Musik behandelte.

Wackenroder betrieb altdeutsche Studien bei Erduin Koch über Minnesang und Archäologie. 1793 ging er nach Erlangen, unternahm von dort aus Reisen in das katholische Süddeutschland, nach Nürnberg, Bamberg und Bayreuth. Aus dieser Zeit zog Wackenroder die Inspiration für seine Werke; er kam in Berührung mit Musik und Architektur des Barock, der Renaissance, und sah Werke von Albrecht Dürer in Nürnberg. Wie Tieck ging er an die Universität Göttingen und vertiefte sich in Musik und Kunstgeschichte; dort insbesondere in die italienische Malerei.[4]

Zwischen Wackenroder und Tieck herrschte ein reger Gedankenaustausch, sie unternahmen Reisen und besprachen ihre Manuskripte. 1796 erschien Wackenroders erstes Werk, die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“. Ludwig Tieck führte ihn 1797 bei dem Jenaer Kreis, der ersten deutschen Romantikerschule[5] um die Brüder Schlegel, Novalis, Clemens Brentano und Achim von Arnim, ein, doch nicht einmal 25jährig starb Wackenroder am 13.Februar 1798 an einem Nervenfieber, vermutlich Typhus.[6]

 

Während für Wackenroder die Veröffentlichungen der „Herzensergießungen“ und der „Phantasien“, die posthum herausgegeben wurden, zentral im Werk stehen, schrieb Tieck zur gleichen Zeit seine ersten Romane und verdingte sich als Lohnschreiber. Sein zweiter Roman, „Franz Sternbalds Wanderungen“ , entstand 1798 unter dem Einfluß des früh verstorbenen Freundes und ist einer der ersten Kunst- und Künstlerromane neben Heinses „Ardinghello“ (1787).

Tieck wirkte weiter  im Jenaer Kreis als Autor, Publizist, Übersetzer, Dramaturg, Dozent und Kritiker, starb 80jährig 1853. Er hinterließ ein umfangreiches Werk aus Märchen, Novellen, Dramen, Romanen und Aufsätzen.

 

2. Entstehungsgeschichte

1796 besuchte Wackenroder mit Tieck die Dresdner Galerie und zeigte ihm das Manuskript zu den „Herzensergießungen“. Tieck erkannte das Neue, Ungemeine, drängte auf eine Veröffentlichung und bot sich als Herausgeber an. Er steuerte eigene, Wackenroder nachempfundene Stücke bei, die stilistisch wie inhaltlich sich jedoch noch von den Texten seines Freundes unterschieden; Tiecks Anteil wird im Nachhinein vielseits als inhaltlich verfälschend gesehen[7], da er die religiösen Aspekte bis zur Möglichkeit des Übertritts zur katholischen Konfession überbetonte, was unter anderem die Gegnerschaft Goethes hervorrief, der später abfällig vom „Klosterbrudrisieren“ sprach[8] und die Keime des Werks im  „christkatholisch-neudeutschen Nazarenertum“[9] aufgehen sah.

Das Werk erschien anonym  im Herbst 1796 bei Johann Friedrich Unger in Berlin, was dazu beitrug, daß Wackenroder als Person im Hintergrund blieb. Und auch später verblaßte er hinter der Gestalt seines Freundes, von dem häufig in der Literatur die Rede ist, wenn es sich eigentlich um direkte Zitate von Wackenroder handelte, wie z.B. beim jungen Schopenhauer.[10]

 

Es war das Verdienst Tiecks, die Bedeutung der neuen Kunstauffassung zu erkennen – in den „Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst“, die er 1799 aus dem Nachlaß Wackenroders heraus zusammenstellte, fertigte er denen Wackenroders gleichwertige Beiträge an, indem er sich die Gedankenwelt seines Freundes zueigenmachte. Ob es sich dabei um Fragmentbearbeitungen handelte, den Gesprächen der Freunde entsprungene Ideen oder um durchgehend eigene Entwürfe, ist heute nicht mehr nachzuweisen. Der Unterschied im Gedankengut ist geringer als in den „Herzensergießungen“, und auch im Stil durchdringen sich die beiden Künstler.

In der Vorrede zu den „Phantasien“ schreibt Tieck aus dem ersten Teil zwei Texte Wackenroder zu, den ersten über Albrecht Dürer und „Die Peterskirche“, was in der Literatur allgemein akzeptiert ist[11], von den Aufsätzen Joseph Berglingers habe er selbst nur „die vier letzten“ hinzugefügt. 1814 erschien jedoch in der Ausgabe „Phantasien über die Kunst, von einem kunstliebenden Klosterbruder“, die nach Tiecks Auswahl nur die Texte Wackenroders enthalten sollte, auch „Ein Brief Joseph Berglingers“, der viertletzte der Berglinger-Aufsätze. Die meisten Forscher haben diesen Text Tieck zugewiesen[12], da die Meinung vorherrschte, daß die verzehrenden Zweifel am Sinn der Kunst dem harmonischen Wesen Wackenroders fremd waren, wohingegen ähnliche Motive in Tiecks Frühwerk in aller Kraßheit auftauchten. Diese Gegenüberstellung eines „positiven“ Wackenroder und eines „negativen“ Tieck findet sich weitverbreitet vor allem in älteren Abhandlungen, basiert aber vorwiegend auf Hypothesen und Vermutungen[13]. Dem wurde in jüngerer Literatur dahingehend widersprochen, daß die quälende Unsicherheit über die Bedeutung von Kunst bereits in dem letzten Stück der „Herzensergießungen“ deutlich hervortritt und sich auch in einem Brief Wackenroders an Tieck widerspiegelt. Außerdem sei es wahrscheinlicher, daß Tieck sich im Vorwort unpräzise ausgedrückt hätte (nämlich mit der Bezeichnung „Berglingers Aufsätze“ den gesamten zweiten Teil gleichzusetzen, und somit den letzten Text, „Der Traum“, der eindeutig von ihm stammt, hinzuzurechnen, obwohl er nicht wie die anderen beziffert ist), als sich bei der Urheberschaft gänzlich geirrt zu haben.[14] Umstritten ist die Autorenschaft außerdem bei den Berglinger-Texten „Ein wunderbares morgenländisches Märchen von einem nackten Heiligen“ sowie „Fragment aus einem Briefe Joseph Berglingers“, die stilistisch und motivisch Parallelstellen bei Tieck entsprechen. Das Lied der Liebenden aus dem „morgenländischen Märchen“ nahm Tieck zudem in die Gesamtausgabe seiner Gedichte auf, wobei er sogar eine Stelle leicht überarbeitete, was auf seine Verfasserschaft hindeutet.[15] Es wäre aber auch denkbar, daß Wackenroder das Gedicht seines Freundes kannte und es in einen Aufsatz einbettete.

 

Auch bei den „Herzensergießungen“ gibt es Unstimmigkeiten, was die Urheberschaft betrifft. In der  Ausgabe von 1814, die ausschließlich Wackenroders Texte enthalten soll, sind mit dem „Brief eines jungen deutschen Malers in Rom an seinen Freund in Nürnberg“ und „Die Bildnisse der Maler“ zwei Stücke enthalten, die Tieck in der Nachschrift zum „Sternbald“ ausdrücklich sich selbst zurechnete. Im Nachwort der Reclam-Ausgabe spricht Richard Benz ohne weitergehende Begründung einen dieser beiden Texte Tieck zu, da sich der „Brief des deutschen Malers“ „am deutlichsten von Wackenroders Gesinnung“[16] unterscheide. Daß „Die Bildnisse der Maler“ in formaler Korrespondenz zu den ebenfalls in Versen gehaltenen „Zwei Gemäldeschilderungen“ steht, was auf Wackenroder als Autor verweist, folgt dem Argument einer inneren Logik. Die Zuschreibung in der neueren Literatur „scheint sich freilich eher einem stillschweigenden Konsens als einer einleuchtenden philologischen Beweisführung zu verdanken“[17], wie Martin Bollacher in seiner Abhandlung „Wackenroder und die Kunstauffassung der frühen Romantik“ augenzwinkernd kommentiert. Er belegt dort jedoch auch ausführlicher, warum der andere Text mit großer Wahrscheinlichkeit Tieck zuzusprechen ist: Eine so „veräußerlichte“[18] Darstellung des Motivs einer Konversion zum Katholizismus widerspräche der Inschutznahme Martin Luthers durch Wackenroder an anderer Stelle, überhaupt dem innerlichen Gestus der Kernaufsätze Wackenroders, zudem unterscheide sich der Text in der Zeitebene von den anderen, gegenwartsbezogenen Abhandlungen des Klosterbruders und verweise inhaltlich auf Tiecks Malerroman „Franz Sternbalds Wanderungen“.

 

Die Frage nach der Urheberschaft der umstrittenen Texte kann an dieser Stelle nicht eingehend geklärt werden, doch zumindest in den „Phantasien“ stehen Tiecks Beiträge bruchlos, verdeutlichend und gleichwertig neben denen Wackenroders. Obwohl letzterer eindeutig als geistiger Urheber der neuen Kunstauffassung gelten kann, war es doch Tieck, der den Fragmenten Wackenroders einen Rahmen gab; dem es gelang, sie „verständlich zu machen und dem Bewußtsein der Zeitgenossen einzuprägen“[19]. In der Wirkung auf die Zeit ist die Urheberschaft eine zu vernachlässigende Fragestellung, vielmehr ist die Bedeutung der Werke nur dann sinnvoll einzuschätzen, wenn man von der gemeinschaftlich erstellten Form ausgeht, wie sie 1797 und 1799 die Öffentlichkeit erreichte.

 

3. Inhaltlicher Überblick

3.1 Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders

Die „Herzensergießungen“ sind eine Sammlung von Aufsätzen, Gedichten, Briefen und Erzählungen, die einem „kunstliebenden Klosterbruder“ zugeschrieben werden. Hinter der Maske eines Paters des Barock konnten Wackenroder und Tieck ihre Ausgangspunkte vereinen:

Zum einen die Sprache, die bewußt im Gegensatz zur technischen Kunstkritik des ausgehenden 18. Jahrhunderts stand[20]; Naivität und Schlichtheit sind gewollt und Teil der neuen Kunstauffassung. In der Einleitung schreibt Tieck: „Sie sind nicht im Ton der heutigen Welt abgefaßt, weil dieser Ton nicht in meiner Gewalt steht und weil ich ihn auch, wenn ich aufrichtig sprechen soll, nicht lieben kann.“[21] Der Klosterburder wendet sich gegen das rationale Analysieren von Kunst, schreibt weder gelehrt noch hochtrabend, nicht für den Fachmann, sondern für alle empfindenden Menschen.

Zum anderen den ästhetischen Hintergrund, die Kunst und Bildwelt des Mittelalters und der Renaissance, Kenntnis alter Literatur und das Wissen um die neueste Musik (wie Mozart und Haydn), durchdrungen von religiöser Andacht zur Kunst.[22]

 

Der größere Teil der Texte setzt sich mit Malerei auseinander, der Verehrung von Künstlern als „Kunstheilige“. Im Mittelpunkt steht das „Ehrengedächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers“, das als für seine Zeit Sensationellste in dem Journal “Deutschland” von Reichhardt vorab veröffentlicht wurde.[23] Kunst wird hier nicht miteinander verglichen und gewertet, sondern mit religiöser Liebe bedacht. Die darauffolgende Betrachtung über die „zwei wunderbaren Sprachen“ stellt das Glaubensbekenntnis des Klosterbruders dar. Wackenroder schildert die Unzulänglichkeit von Sprache, stellt ihr aber zwei Universalsprachen gegenüber, die „die himmlischen Dinge in ganzer Macht (...) fassen“[24], die das Unaussprechliche ausdrücken können: die Natur und die Kunst.

In „Zwei Gemäldeschilderungen“ entwirft er eine Beschreibung in Versen von zwei Bildern Raffaels, eine in seinen Augen angemessene Art, Kunst zu erfassen. „Ein schönes Bild oder Gemälde ist, meinem Sinne nach, eigentlich gar nicht zu beschreiben“[25].

Das höhere Wesen des Künstlers wird herausgestellt, er erscheint als Heiliger und Erretter („Der Schüler und Raffael“). Wackenroder griff hier auf die Göttinger Bibliothek zurück, um über Leonardo Da Vinci, Michelangelo und Francesco Francia zu schreiben. Der Maler Francesco Francia stirbt nach dem Betrachten eines Kunstwerks Raffaels als echter “Märtyrer des Kunstenthusiasmus”[26], in „Raffaels Erscheinung“ entsteht ein Kunstwerk erst durch göttliche Eingebung.

 

Unerwartet tragisch im Gegensatz zu den bisherigen, harmonischen Bekenntnissen zur Kunst ist der letzte Abschnitt der „Herzensergießungen“, „Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger“.

Joseph Berglinger wächst in dürftigen Vermögensumständen mit fünf Schwestern in einem kleinen Städchen in Süddeutschland auf. Seine Mutter starb bei seiner Geburt und das Familienleben ist durch die Sachlichkeit und Rationalität des Vaters bestimmt, der Apotheker ist.

Joseph ist dagegen ein phantasievoller Mensch und fühlt sich zur Musik hingezogen. Er bringt sich selbst Klavierspielen bei, “daß sein Inneres ganz und gar zur Musik ward und sein Gemüt, von dieser Kunst gelockt, immer in den dämmernden Irrgängen poetischer Empfindung umherschweifte.”[27] Er lebt einige Wochen bei einem Verwandten in der Stadt der Bischofsresidenz, wo er viele Konzerte besucht und die Kirchenmusik kennenlernt.

Nach der Rückkehr zu seiner Familie gerät er in den Konflikt zwischen seiner Kunstliebe und den weltlichen Notwendigkeiten, personifiziert in ihm und seinem Vater, der will, daß er Medizin studiert. “Dieser verachtete und verabscheute alle Künste als Dienerinnen ausgelassener Begierden und Leidenschaften und Schmeichlerinnen der vornehmen Welt.”[28] Er tut sich schwer und hadert mit seinem Schicksal. “Lieber Gott! ist denn das die Welt, wie sie ist?”[29] Er quält sich mit der Medizin, schreibt im Geheimen Gedichte, beschließt endlich, das Vaterhaus zu verlassen und in die Stadt zu gehen.

Im zweiten Hauptstück ist Joseph Berglinger bereits Kapellmeister am Bischofshof, nachdem sein Verwandter ihn aufgenommen hat und förderte. Trotz seiner exponierten Stellung ist er nicht glücklich mit seinem Schicksal, was er in einem Brief an den Klosterbruder schildert. Er zweifelt am Wert der Kunst für die Welt, verschließt sich der Weltlichkeit und leidet doch darunter, einsam zu sein. „Sowohl von dem Raisonnement der “Vernünftler”, die sich eine Sache nur zu eigen machen können, indem sie über sie reden, als auch von der provinziellen Armseligkeit der Welt, aus der er stammt, fühlt er sich bedrückt und abgestoßen.”[30]

Den Vater sieht er erst am Sterbebett wieder, versteht sich mit ihm “ohne viele Worte sehr inniglich.”[31] Seine Inspiration ist wie betäubt, und die Passionsmusik für das Osterfest will nicht gelingen, bis er schließlich wie ein Besessener das Werk in einem Stück niederschreibt. Nach der Aufführung seines Meisterwerkes fühlt er sich matt und erschlafft. Eine Nervenschwäche befällt ihn, und kurze Zeit später stirbt er.

Die Energie für das letzte Werk ist eher dämonisch als göttlich, die „Begeisterung ist ein Außer-sich-Sein, die Gemütsbewegungen aber durchdringen das Innere“[32]. Wackenroder stellt die Zerrissenheit zwischen der Unterwerfung an eine “fremde Macht” und die Selbstbefangenheit eines Empfindsamen als zerstörerischen Konflikt dar, an dem Berglinger schließlich zugrunde geht – eine Vorahnung des eigenen Schicksals?

Wackenroder beschreibt in der Geschichte des fiktiven Komponisten seine eigene Tragödie, die einen Bruch zu den restlichen Texten darstellt - im Gegensatz zu den unschuldig-unbefangenen Künstlern wie Raffael oder Albrecht Dürer hat Joseph Berglinger einen essenziellen Konflikt mit den Umständen seines Lebens auszufechten.

 

3.2 Phantasien über die Kunst

Die „Phantasien“ teilen sich in Texte zu Kunst und Musik, ähnlich der Form der „Herzensergießungen“, allerdings nehmen beide Gebiete hier etwa gleich viel Raum ein. Wackenroder und Tieck schreiben nicht mehr hinter der Maske des Klosterbruders, obwohl der Ton teilweise erhalten bleibt, sondern legen die musikalischen Aufsätze Joseph Berglinger in den Mund und fungieren in den Abschnitten zur bildenden Kunst als direkte Autoren.

Drei der 10 Stücke über Kunst behandeln Raffael, der bereits in den „Herzensergießungen“ eine  Vorzugsstellung genießt. Die sprachlichen Bilder stammen wiederum aus der Religion, die Wirkung der Kunst gleicht der Wirkung von Religion.

Es ist nicht sicher, ob Wackenroder oder Tieck jemals ein Originalgemälde von Raffael gesehen haben, sie waren aber vertraut mit Abbildungen aus Büchern. Nicht nur künstlerische Vollendung und religiöse Thematik läßt ihn so exponiert erscheinen, sondern die “Heiligkeit” seiner Bilder, die unbeschreibliche Verklärtheit seiner Gestalten ohne Weltlichkeit, der nur Dürers Werke gleichgestellt sind.

Die musikalischen Aufsätze in den „Phantasien“ sind wiederum problematischer als die über Malerei: im Ton spricht nicht ein geborgener Klosterbruder, sondern es sind direkte Äußerungen eines innerlich entzweiten Kapellmeisters. Die Kunstfrömmigkeit tritt zurück gegenüber einer ausgefeilten Seelenlehre, neben Glanz tritt eine Bedenklichkeit.

Im Kern liegen Wackenroders Texte „Die Wunder der Tonkunst“ und „Das eigentliche innere Wesen der Tonkunst und die Seelenlehre der heutigen Instrumentalmusik“. Darin beschreibt Berglinger seine Gedanken zur Musik, das Verhältnis von Empfinden von Musik und dem System Komposition und der Rolle der Musik im Kanon der Künste.

Weitere Aufsätze Wackenroders leisten vor allem eine bildreiche Beschreibung der Wirkung von Musik: die Erlösung des nackten Heiligen, das Zuschreiben einer reinen Göttlichkeit an die Kirchenmusik.

Der vermutlich letzte Aufsatz aus Wackenroders Feder[33] ist der Brief Berglingers an den Pater. Der Musiker hadert mit dem Konflikt Kunst/Leben, damit, daß Musik so wenig an realem Leid ändern kann, und daß er das Leben schließlich nur noch als Schauspiel, als Material für seine Kunst sieht.

 

Vier Texte Tiecks bilden den Abschluß der „Phantasien“, in denen er zentrale Motive Wackenroders herausgreift und verdeutlicht. In „Unmusikalische Toleranz“ wird die Musik als Ausweg aus der Abstumpfung gegenüber den Höhen und Tiefen des Lebens beschrieben, in „Die Töne“ mit den anderen Künsten verglichen und explizit als alternative Sprache über sie gestellt. Malerei ahmt die Natur nur nach, während Töne auf einem Instrument veränderlichen Farbtönen der Wirklichkeit gleichen, wie in einem „feinen, flüssigen Elemente, einem klaren, spiegelhellen Bache“[34]. „Symphonien“ schildert bildreich die Ouvertüre zu MacBeth von Johann Friedrich Reichardt[35], aus der mehr spricht als aus dem Theaterstück. Tieck schlägt vor, ein Theaterstück mit einer Symphonie schließen zu lassen, da die größere Gefühlssprache dann die geringere einschließt.

Der letzte Text, „Der Traum“, ist ein Abschied vom Freund Wackenroder, mit dem Tieck das Reich der Kunst entdeckte und durchstreifte. Es spricht eine tiefe Verbundenheit aus den Versen, die um die künstlerisch fruchtbare Jugendfreundschaft trauert.

 

4. Einflußgebiete und Problematiken

4.1 Ästhetischer Konflikt Gefühl/Wissenschaft

Schon im Vorwort zu den „Herzensergießungen“ zeigt sich eine Kritik an Rationalität, Kunstwissenschaft und Technik der Kunst:

 

“Aber immer dachte ich mit einem stillen, heiligen Schauer an die großen gebenedeiten Kunstheiligen (...) ich konnte es nie dahin bringen - ja ein solcher Gedanke würde mir gottlos vorgekommen sein -, an meinen auserwählten Lieblingen das Gute von dem sogenannten Schlechten zu sondern und sie am Ende alle in eine Reihe zu stellen, um sie mit einem kalten, kritisierenden Blicke zu betrachten, wie es junge Künstler und sogenannte Kunstfreunde wohl jetzt zu machen pflegen.”[36]

 

Die Kunstauffassung Wackenroders und Tiecks erlaubt kein Messen, Abwägen und Vergleichen. Rationale Kritik erfaßt nicht den wirklichen Geist eines Kunstwerkes. In „Das eigentümliche innere Wesen der Tonkunst“ wird die Gegenposition zu Kunstrationalität auch auf die Musik bezogen:

 

“Die wissenschaftlichen Tiefsinnigkeiten der Musik haben manche jener spekulierenden Geister herangelockt, welche in allem ihren Tun streng und scharf sind und das Schöne nicht aus offener, reiner Liebe um sein selbst willen aufsuchen, sondern es nur des Zufalls halber schätzen, daß besondre, seltene Kräfte daran aufzureiben waren. Anstatt das Schöne auf allen Wegen, wo es sich freundlich uns entgegenbietet, wie einen Freund willkommen zu heißen, betrachten sie ihre Kunst vielmehr als einen schlimmen Feind, suchen ihn im gefährlichsten Hinterhalt zu bekämpfen und triumphieren dann über ihre eigne Kraft.”[37]

 

Die Ablehnung von technischer Sachlichkeit liegt auch in Wackenroders Biographie begründet, in dem Konflikt mit seinem Vater. Seine Kunstauffassung geht von einem emotionalen Zugang aus, der jede Form der Kunst willkommenheißt – eine Gefühlsästhetik. Carl Dahlhaus schreibt dazu in der „Idee der absoluten Musik“: „Die Andacht, zu der sich Wackenroder-Berglinger erhoben fühlt, gilt prinzipiell der Musik schlechthin, ohne Unterschied der Gattungen und Stilhöhen.“[38]

 

“Wer das, was sich nur von innen heraus fühlen läßt, mit der Wünschelrute des untersuchenden Verstandes entdecken will, der wird ewig nur Gedanken über das Gefühl und nicht das Gefühl selber entdecken. Eine ewige feindselige Kluft ist zwischen dem fühlenden Herzen und den Untersuchungen des Forschens befestigt, und jenes ist ein selbständiges, verschlossenes, göttliches Wesen, das von der Vernunft nicht aufgeschlossen und gelöst werden kann.”[39]

 

Kunst wird mit dem Gefühl erfahren und nicht mit dem Verstand. Sie verlangt kein Vorwissen, keine Kenntnisse um Technik, Komposition, Gehalt und Ausführung, sonder ein Sich dem Werk Hingeben, ein reiches Gemüt, bis es im eigenen Innern korrespondierende Empfindungen erweckt – ein tieferes Verstehen von Kunst.

 

“Von der echten Kunst sollte nie ohne Enthusiasmus gesprochen werden”[40], schreibt Wackenroder in „Über Billigkeit, Mäßigkeit und Toleranz“. Es zählt keine Kunstkritik, sondern Kunstbegeisterung. Trotzdem gibt es eine “echte” Kunst, die allein durch ihre emotionale Wirkung definiert wird.

 

“[Kritiker mit Maßstäben der Rationalität] sollten, wenn sie es vermöchten, die tiefgegründete, unwandelbare Heiligkeit, die dieser Kunst vor allen andern eigen ist, verehren, daß in ihren Werken das feste Orakelgesetz des Systems, der ursprüngliche Glanz des Dreiklangs auch durch die verworfensten Hände nicht vertilgt und befleckt werden kann - [...]”[41]

 

Die Ablehnung der Kunstkritik ihrer Zeit basiert auf der zentralen Prämisse, daß Kunst ein göttliches Prinzip und daher Kritik an ihr frevelhaft und entehrend ist. Diesen Punkt werde ich als nächstes bearbeiten.

 

4.2 Vergöttlichung der Kunst

In „Raffaels Erscheinung“ aus den „Herzensergießungen“ schreibt Wackenroder, daß die Lehrer sich erlauben, den Schülern den Wahn einzupflanzen, “dreist zu ergreifen, was die größesten Meister der Kunst (...) nur durch göttliche Eingebung erlangt haben.”[42]

Während er hier noch von göttlicher Mitwirkung spricht, verdeutlicht Tieck in „Symphonien“ aus den „Phantasien“ die Position der Gleichwertigkeit von Religion und Kunst:

 

“Wie es in der Religion ist, so ist es auch in allen hohen und übermenschlichen Dingen, ja man könnte sagen, daß alles Große und Höchstvortreffliche Religion sein müsse. Das Göttliche ist so beschaffen, daß der Mensch es erst glauben muß, ehe er es verstehen kann; fängt er aber mit dem Verstehn, das heißt mit dem Beurteilen an, so verwickelt er sich nur in Labyrinthe, in denen er törichterweise sein Herumirren für die wahre Art hält, weise zu sein.”[43]

 

Religiöse Andacht, die Wackenroder im Katholizismus und der Rückwendung zum Mittelalter zu finden glaubt, entspricht der Haltung gegenüber Kunst, der Rezipient gelangt “in das stille Land des Glaubens, in das eigentliche Gebiet der Kunst.”[44]

 

Daß Musik himmlischen Ursprungs sein muß, begründet Wackenroder mit der außerhalb der menschlichen Faßbarkeit liegenden Wirkung von irdischen Prinzipien und Materialien:

 

“Die wehmutsvollen, halb süßen und halb schmerzlichen Empfindungen, die die Musik uns einflößt, wir wissen nicht wie, was sind sie denn anders als die geheimnisvolle Wirkung des wechselnden Dur und Moll? Und müssen wir’s nicht dem Schöpfer danken, wenn er uns nun grade das Geschick gegeben hat, diese Töne, denen von Anfang her eine Sympathie zur menschlichen Seele verliehen ist, so zusammenzusetzen, daß sie das Herz rühren? - Wahrhaftig, die Kunst ist es, was man verehren muß, nicht den Künstler; - der ist nichts mehr als ein schwaches Werkzeug.”[45]

 

Kunst ist nicht Zeitvertreib, Unterhaltung oder Spiel für eine aristokratische Gesellschaft, nicht moralische Erbauung, sondern unittelbarer Ausdruck des Göttlichen. Kunst tritt an die Stelle der Religion.

4.3 Gegensatz Leben <-> Kunst

Die Texte der „Herzensergießungen“ und „Phantasien“, die sich mit Musik beschäftigen, schlagen zweifelndere Töne zum Kunstverständnis an. Berglingers erste Musikeindrücke in der Bischofsstadt werden beschrieben:

“Soviel ist gewiß, daß er sich, wenn die Musik geendigt war und er aus der Kirche herausging, reiner und edler geworden vorkam. (...) Er dachte: du mußt zeitlebens, ohne Aufhören in diesem schönen poetischen Taumel bleiben, und dein ganzes Leben muß eine Musik sein.

Wenn er dann aber zu seinem Anverwandten zum Mittagessen ging und es sich in einer gewöhnlich-lustigen und scherzenden Gesellschaft hatte wohl schmecken lassen - dann war er unzufrieden, daß er so bald wieder ins prosaische Leben hinabgezogen war und sein Rausch sich wie eine glänzende Wolke verzogen hatte.“[46]

 

Berglinger erkennt einen Gegensatz zwischen dem Leben in der Kunst und den Anforderungen der Welt – ein Konflikt, der sich auch in Wackenroders Biographie widerspiegelt.

 

“Was ist die Kunst so seltsam und sonderbar! Hat sie denn nur für mich allein so geheimnisvolle Kraft und ist für alle andre Menschen nur Belustigung der Sinne und angenehmer Zeitvertreib?

Was ist sie denn wirklich und in der Tat, wenn sie für alle Menschen nichts ist und für mich allein nur etwas? Ist es nicht die unglückseligste Idee, diese Kunst zu seinem ganzen Zweck und Hauptgeschäft zu machen und sich von ihren großen Wirkungen auf die menschlichen Gemüter tausend schöne Dinge einzubilden? von dieser Kunst, die im wirklichen irdischen Leben keine andre Rolle spielt als Kartenspiel oder jeder andre Zeitvertreib?”[47]

 

Berglinger fühlt sich isoliert in seinem Verhältnis zur Musik, die für ihn persönlich eine andere Rolle spielt als in der kulturellen Öffentlichkeit seiner Zeit.

“Daß ich mir einbilden konnte, diese in Gold und Seide stolzierende Zuhörerschaft käme zusammen, um ein Kunstwerk zu genießen, um ihr Herz zu erwärmen, ihre Empfindung dem Künstler darzubringen! (...) Die Empfindung und der Sinn für Kunst sind aus der Mode gekommen und unanständig geworden; - bei einem Kunstwerk zu empfinden wäre gerade ebenso fremd und lächerlich, als in einer Gesellschaft auf einmal in Versen und Reimen zu reden, (...) Das ist die hohe Bestimmung, wozu ich geboren zu sein glaubte!”[48]

 

Berglingers sozialer Grundkonflikt, „die Isolation des Künstlers in einer widrigen Um- und Mitwelt“[49], die Reflexion über die Bedeutung von Kunst in der Welt, kann als wichtiges Moment der Geistgeschichte gesehen werden, entspringt in dieser unvereinbaren Gegensätzlichkeit jedoch auch einer absoluten Perspektive einer Jugendlichkeit und Sturm- und Drangphase.[50] Die „antithetische (oder auch: dialektische) Grundspannung“[51] der Berglinger-Texte zeigt sich jedoch nicht nur in dem Gegensatz von Gefühl und Wissenschaft, sondern auch in dem zwischen Kunstgenuß und Kunstausübung.

 

“Wie weit idealischer lebte ich damals, da ich in unbefangener Jugend und stiller Einsamkeit die Kunst noch bloß genoß, als itzt, da ich sie im blendendsten Glanze der Welt, und von lauter seidenen Kleidern, lauter Sternen und Kreuzen, lauter kultivierten und geschmackvollen Menschen umgeben, ausübe! - Was ich möchte? - Ich möchte all diese Kultur im Stiche lassen und mich zu dem simplen Schweizerhirten ins Gebirge hinflüchten und seine Alpenlieder, wonach er überall das Heimweh bekömmt, mit ihm spielen.”[52]

 

In der Person des Musikers Berglinger setzt Wackenroder die These um, daß zum Verstehen von Musik nur das Gefühl notwendig ist. Gleichzeitig verfolgt er diesen Gedanken weiter und stößt auf eine Problematik, die tief im Wesen dieser Kunst liegt, in der „prekären Dialektik zwischen einer Mechanik, die den Geist der Musik in sich einschließt (...), und einem Enthusiasmus, der (...) durch Mangel an Handwerksgeist daran gehindert wird, produktiv zu werden.“[53]

Berglinger „ist Künstler, doch einer, der fühlt, als wäre er ein Dilettant“[54].

 

Im „Brief Joseph Berlingers“ nimmt der Enthusiasmus für die Macht der Musik, Gefühle zu übertragen,  eine Wendung vom Zweifelnden ins Bedrohliche.

“Aber ach! wenn ich auf dieser verwegenen Höhe stehe und mein böser Geist mich mit übermütigem Stolz auf mein Kunstgefühl und mit frecher Erhebung über andre Menschen heimsucht, - dann, dann öffnen sich auf einmal rings um mich her auf allen Seiten so gefährliche, schlüpfrige Abgründe, - alle die heiligen, hohen Bilder springen ab von meiner Kunst und flüchten sich in die Welt der andern, bessern Menschen zurück, - und ich liege hingestreckt, verstoßen und komme mir im Dienste meiner Göttin - ich weiß nicht wie - wie ein törichter, eitler Götzendiener vor.“[55]

 

Explizit klagt Berglinger seinen eigenen Frevel an: “Die Kunst ist ein täuschender, trüglicher Aberglaube; wir meinen, in ihr die letzte, innerste Menschheit selbst vor uns zu haben, und doch schiebt sie uns immer nur ein schönes Werk des Menschen unter, worin alle die eigensüchtigen, sich selber genügenden Gedanken und Empfindungen abgesetzt sind, die in der tätigen Welt unfruchtbar und unwirksam bleiben. Und ich Blöder achte dies Werk höher als den Menschen selber, den Gott gemacht hat.”[56]

 

Das Dilemma liegt in Wackenroders Ansatz der Vergöttlichung der Kunst und den gegensätzlichen realen Anforderungen der Welt, das sich auch als Grundkonflikt durch sein eigenes Leben zog, im Kampf Berglingers “ätherischen“[57]  Enthusiasmus mit der gewöhnlichen Beschaffenheit der Menschen. Das Schicksal von Musik scheint die Wirkungslosigkeit auf die Gestaltung von Mensch und Welt zu sein. „Berglinger wurde zum Opfer eines Enthusiasmus, der sich in sich selbst verzehrte.“[58]

 

Wackenroder fokussiert die Problematik weiter und stößt auf den modernen Kunstschaffendenkonflikt des „Topos Welttheater“[59], der „Übersetzung der Wirklichkeit in ein Ordnungsbild durch die Einbildungskraft des Künstlers“[60].

 

“Und wenn mir nun der Anblick des Jammers in den Weg tritt und Hülfe fordert, wenn leidende Menschen, Väter, Mütter und Kinder, dicht vor mir stehen, die zusammen weinen und die Hände ringen und heftiglich schreien vor Schmerz, - das sind freilich keine lüsternen, schönen Akkorde, das ist nicht der schöne, wollüstige Schmerz der Musik, das sind herzzerreißende Töne, und das verweichlichte Künstlergemüt gerät in Angst, weiß nicht zu antworten, schämt sich zu fliehn und hat zu retten keine Kraft. Er quält sich mit Mitleid, - er betrachtet unwillkürlich die ganze Gruppe als ein lebendig gewordenes Werk seiner Phantasie und kann’s nicht lassen, wenn er sich auch in demselben Momente vor sich selber schämt, aus dem elenden Jammer irgend etwas Schönes und kunstartigen Stoff herauszuzwingen.

Das ist das tödliche Gift, was im unschuldigen Keime des Kunstgefühls innerlich verborgen liegt.”[61]

 

Ein Jahrhundert vor Thomas Mann formuliert Wackenroder die Problematik des ästhetischen Menschen, der unfähig ist zu empfinden und das Leben nur als Bühne sieht - der durch die Kunst für das Leben verdorben ist und darum weiß. Die „„Zerrissenheit“ und nihilistische Orientierungslosigkeit“ wird als „Stigma des „modernen“ Künstlers“[62] gekennzeichnet.

 

“Der Künstler betrachtet sie wie ein Gemälde oder Tonstück, kennt keine feste Überzeugung und findet alles schön, was an gehörigem Orte steht.”[63]

 

Schmerz wird in Kunst übersetzt und bewirkt damit eine Distanzierung vom Leben und das Setzen des eigenen Werkes für höhere Realität.

 

“Das ist’s, daß die Kunst die menschlichen Gefühle, die fest auf der Seele gewachsen sind, verwegen aus den heiligsten Tiefen dem mütterlichen Boden entreißt und mit den entrissenen, künstlich zugerichteten Gefühlen frevelhaften Handel und Gewerbe treibt und die ursprüngliche Natur des Menschen frevelhaft verscherzt. Das ist’s, daß der Künstler ein Schauspieler wird, der jedes Leben als Rolle betrachtet, der seine Bühne für die echte Muster- und Normalwelt, für den dichten Kern der Welt und das gemeine, wirkliche Leben nur für eine elende, zusammengeflickte Nachahmung, für die schlechte umschließende Schale ansieht. (...) So spott ich über mich selbst, - und auch dies Spotten ist nur elendes Spielwerk.”[64]

 

Derselbe Autor, der der Kunst in den Aufsätzen über Raffael und Dürer einen göttlichen Rang verlieh, stellt sie im „Brief Joseph Berglingers“ tief in Frage und nimmt ihre konsequente Umsetzung voraus. Wackenroder entwirft das Bild einer Janusköpfigkeit von Musik: sie kann erretten aus der Sinnlosigkeit des Lebens, ist aber auch Anlaß zu Verzweiflung, ein Aberglaube und eitle Selbstbefriedigung.

 

“...oh, so schließ ich mein Auge zu vor all dem Kriege der Welt - und ziehe mich still in das Land der Musik als in das Land des Glaubens zurück, wo alle unsre Zweifel und unsre Leiden sich in ein tönendes Meer verlieren, - wo wir alles Gekrächze der Menschen vergessen, wo kein Wort- und Sprachengeschnatter, kein Gewirr von Buchstaben und monströser Hieroglyphenschrift uns schwindlig macht, sondern alle Angst unsers Herzens durch leise Berührung auf einmal geheilt wird.”[65]

 

Die repräsentierte Kunstauffassung enthält scheinbar widersprüchlich beide Seiten als immanente und untrennbare Elemente. Die im Affekt getroffenen Anklagen bleiben nicht als endgültige Aussage isoliert stehen, sondern werden von einer Hoffnung auf eine Musik, die direkt Gefühle übertragen kann, begleitet; dem Gegenentwurf einer Musik ohne „Sprachengeschnatter“, einer Instrumentalmusik.

 

4.4 Absolute Musik, Emanzipation der Instrumentalmusik

Am Ende des 18.Jhdts gehörte Sprache als festes Teilmoment zur Musik. Der aus der Antike stammende, vom Mittelalter und der frühen Neuzeit übernommene Musikbegriff umfaßte nach Platons Definition die Harmonia (geregelte Tonbeziehungen), Rhythmos und Logos (Sprache).[66] Traditionsgemäß waren es Oper, Chor und Lied, die an das Gefühl appellierten, da sie Glück, Schmerz und Verzweiflung direkt aussprachen. Die Instrumentalmusik wurde noch im zweiten Drittel des aufgeklärten, philosophischen Jahrhunderts nicht ernst genommen - sie galt als „nichtssagend, nicht als beredt“ [67], als „reduzierte Vokalmusik“[68].

 

Wackenroder nimmt seinen Ausgangspunkt in der Metaphysik: Es gibt etwas, das durch Worte nicht ausgedrückt werden kann: “Nur das Unsichtbare, das über uns schwebt, ziehen Worte nicht in unser Gemüt herab.”[69]

Er vergleicht die Kunst und Natur als Sprachen ohne Worte: “Die Kunst ist eine Sprache ganz anderer Art als die Natur; aber auch ihr ist, durch ähnliche dunkle und geheime Wege, eine wunderbare Kraft auf das Herz des Menschen eigen. Sie redet durch Bilder der Menschen und bedienet sich also einer Hieroglyphenschrift, deren Zeichen wir dem Äußern nach kennen und verstehen. Aber sie schmelzt das Geistige und Unsinnliche auf eine so rührende und bewundernswürdige Weise in die sichtbaren Gestalten hinein, daß wiederum unser ganzes Wesen und alles, was an uns ist, von Grund auf bewegt und erschüttert wird.”[70]

 

Die Bewertung von bildender Kunst wird in der Berglinger-Novelle auf Musik übertragen:

“Manche Stellen in der Musik waren ihm so klar und eindringlich, daß die Töne ihm Worte zu sein schienen. Ein andermal wieder wirkten die Töne eine wunderbare Mischung von Fröhlichkeit und Traurigkeit in seinem Herzen, so daß Lächeln und Weinen ihm gleich nahe war; eine Empfindung, die uns auf unserm Wege durch das Leben so oft begegnet und die keine Kunst geschickter ist auszudrücken als die Musik.”[71]

 

Musik ist nicht ein Hintergrund für eine sprachliche Konstruktion von Gefühlen, sie strömt die Gefühle selbst hervor. Im Vergleich mit anderen Künsten stellt Wackenroder die Musik als „reichere Sprache“ dar:

“Zu dieser Aufbewahrung der Gefühle sind nun verschiedene schöne Erfindungen gemacht worden, und so sind alle schönen Künste entstanden. Die Musik aber halte ich für die wunderbarste dieser Erfindungen, weil sie menschliche Gefühle auf eine übermenschliche Art schildert, weil sie uns alle Bewegungen unsers Gemüts unkörperlich, in goldne Wolken luftiger Harmonien eingekleidet, über unserm Haupte zeigt, - weil sie eine Sprache redet, die wir im ordentlichen Leben nicht kennen, die wir gelernt haben, wir wissen nicht wo und wie, und die man allein für die Sprache der Engel halten möchte.”[72]

 

“Was wollen sie, die zaghaften und zweifelnden Vernünftler, die jedes der hundert und hundert Tonstücke in Worten erklärt verlangen und sich nicht darin finden können, daß nicht jedes eine nennbare Bedeutung hat wie ein Gemälde? Streben sie die reichere Sprache nach der ärmern abzumessen und in Worte aufzulösen, was Worte verachtet? Oder haben sie nie ohne Worte empfunden? Haben sie ihr hohles Herz nur mit Beschreibungen von Gefühlen ausgefüllt?”[73]

 

Wackenroder entwickelt in den „Wundern der Tonkunst“ den Gedanken des Einschließens von Gefühlen in Kunstwerke und spielt damit wiederum auf das erlösende wie isolierende Wesen der Musik an. Der Künstler “geht, innerlich erwärmt, stillschweigend daheim, läßt sein sympathetisches Entzücken auf leblosem Saitenspiel weit herrlicher daherrauschen und bewahrt es auf in einer Sprache, die kein Mensch je geredet hat, deren Heimat niemand kennt und die jeden bis in die innersten Nerven ergreift.“[74]

 

Tieck formuliert das Postulat der Musik als höchster Kunstform noch deutlicher. Bildende und zeichnende Kunst ahmt die Natur nach, ohne sie zu erreichen. “Wie anders verhält es sich doch mit der Musik! Die schönsten Töne, die die Natur hervorbringt, (...) sind nur unverständlich und rauh, sprechen gleichsam nur im Schlafe, nur einzelne Laute, wenn wir sie gegen die Töne der Instrumente messen. Ja, diese Töne, die die Kunst auf wunderbare Weise entdeckt hat und sie auf den verschiedensten Wegen sucht, sind von einer durchaus verschiedenen Natur, sie ahmen nicht nach, sie verschönern nicht, sondern sie sind eine abgesonderte Welt für sich selbst.”[75]

 

Musik wird als Inbegriff der Kunst dargestellt, die mit ihren Tönen sogar alle Naturlaute übertrifft.

 

“Sie ist die einzige Kunst, welche die mannigfaltigsten und widersprechendsten Bewegungen unsers Gemüts auf dieselben schönen Harmonien zurückführt, die mit Freud und Leid, mit Verzweiflung und Verehrung in gleichen harmonischen Tönen spielt.”[76]

 

Dem Musikbegriff, der Worte als festen Bestandteil beinhaltete, wird ausdrücklich durch die Aufwertung von Instrumentalmusik widersprochen.

“Es hat sich zwischen den einzelnen mathematischen Tonverhältnissen und den einzelnen Fibern des menschlichen Herzens eine unerklärliche Sympathie offenbart, wodurch die Tonkunst ein reichhaltiges und bildsames Maschinenwerk zur Abschilderung menschlicher Empfindungen geworden ist.”[77]

Der Vorwurf gegenüber der Instrumentalmusik, das „Maschinenhafte“, wird ins Positive umgedeutet, aus dem Unkonkreten wird das Unaussprechliche.

 

“Und doch kann ich’s nicht lassen, noch den letzten, höchsten Triumph der Instrumente zu preisen: ich meine jene göttlichen großen Symphoniestücke (von inspirierten Geistern hervorgebracht), worin nicht eine einzelne Empfindung gezeichnet, sondern eine ganze Welt, ein ganzes Drama menschlicher Affekten ausgeströmt ist.”[78]

 

Tieck kehrt die Argumentation über den direkten Ausdruck von Gefühlen in der Vokalmusik in eine Begrenztheit um: “Diese Kunst scheint mir aber bei allem diesem immer nur eine bedingte Kunst zu sein; sie ist und bleibt erhöhte Deklamation und Rede, jede menschliche Sprache, jeder Ausdruck der Empfindung sollte Musik in einem mindern Grade sein.

In der Instrumentalmusik aber ist die Kunst unabhängig und frei, sie schreibt sich nur selbst ihre Gesetze vor, sie phantasiert spielend und ohne Zweck, und doch erfüllt und erreicht sie den höchsten, sie folgt ganz ihren dunkeln Trieben und drückt das Tiefste, das Wunderbarste mit ihren Tändeleien aus.”[79]

 

Wackenroder und Tieck entwerfen die Kategorie einer „poetischen“ Musik als eigene Sprache.

 

“Die reine Vokalmusik sollte (...) in ihrem eigentümlichen Elemente atmen: so wie die Instrumentalmusik ihren eignen Weg geht und sich um keinen Text, um keine untergelegte Poesie kümmert, für sich selbst dichtet und sich selber poetisch kommentiert. Beide Arten können rein und abgesondert für sich bestehen.”[80]

 

“Der Komponist hat hier ein unendliches Feld, seine Gewalt, seinen Tiefsinn zu zeigen; hier kann er die hohe poetische Sprache reden, die das Wunderbarste in uns enthüllt und alle Tiefen aufdeckt.” [81]

 

“Viele Szenen des Stücks waren mir nach dieser großen Erscheinung trüb und leer, dann das Schrecklichste und Schauerhafteste war schon vorher größer und poetischer verkündigt.”[82]

 

“Daher kommt es, daß manche Tonstücke, deren Töne von ihren Meistern wie Zahlen zu einer Rechnung oder wie die Stifte zu einem musivischen Gemälde bloß regelrecht, aber sinnreich und in glücklicher Stunde zusammengesetzt wurden, - wenn sie auf Instrumenten ausgeübt werden, eine herrliche, empfindungsvolle Poesie reden, obwohl der Meister wenig daran gedacht haben mag, daß in seiner gelehrten Arbeit der in dem Reich der Töne verzauberte Genius für eingeweihte Sinne so herrlich seine Flügel schlagen würde.”[83]

 

Wackenroder und Tieck formulieren hier als zentrale Idee ihrer Musikästhetik das „Poetische“, eine Kategorie, die mit dem Selbstverständnis der Komponisten der Wiener Klassik, auf die sie sich beziehen, „zweifellos nicht übereinstimmt“ [84]. Die musikästhetischen Prämissen, „die den Symphonien von Stamitz oder Haydn ursprünglich zugrundelagen“, scheinen mit der vorromantischen Kunstvorstellung „wenig gemeinsam“[85] zu haben. Das vorstehende Zitat zeigt aber, daß den Autoren die Diskrepanz zwischen dem Begriff „Charakter“, der für Beethoven und Haydn bestimmend war[86], und ihrer Metaphysik der Instrumentalmusik durchaus bewußt war. Allerdings läßt sich die „pointierte These, die Musikästhetik Wackenroders, Tiecks und E.T.A. Hoffmanns sei eine romantische Musikästhetik ohne romantische Musik gewesen“[87], nicht von der Hand weisen.

 

Tieck projeziert jedoch den Anspruch an eine „poetische“ Musik, einer der Vokalmusik gleich- oder sogar höherwertigen Instrumentalmusik, in die Zukunft: “Die Musik, so wie wir sie besitzen, ist offenbar die jüngste von allen Künsten; sie hat noch die wenigsten Erfahrungen an sich gemacht, sie hat noch keine wirklich klassische Periode erlebt. Die großen Meister haben einzelne Teile des Gebietes angebaut, aber keiner hat das Ganze umfaßt, auch nicht zu einerlei Zeit haben mehrere Künstler ein vollendetes Ganzes in ihren Werken dargestellt.

Vorzüglich scheint mir die Vokal- und Instrumentalmusik noch nicht genug gesondert und jede auf ihrem eignen Boden zu wandeln; man betrachtet sie noch zu sehr als ein verbundenes Wesen, und daher kömmt es auch, daß die Musik selbst oft nur als Ergänzung der Poesie betrachtet wird.”[88]

 

Als bedeutendste Essenz der Werke steht also die Idee einer Emanzipation der Instrumentalmusik, der reinen „Tonkunst“, und damit eine Vorwegnahme der Idee der „absoluten Musik“.

“Denn die Tonkunst ist gewiß das letzte Geheimnis des Glaubens, die Mystik, die durchaus geoffenbarte Religion. Mir ist es oft, als wäre sie immer noch im Entstehn und als dürften sich ihre Meister mit keinen andern messen.”[89]

 


5.Fazit

Die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ und die „Phantasien über die Kunst“ standen im offenen Gegensatz zu der am Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschenden Kunstrezeption. Erst in der Nachromantik wurde Wilhelm Heinrich Wackenroder als erster Theoretiker einer Musikästhetik „wiederentdeckt“, die weite Teile der romantischen Kunstauffassung vorwegnahm und einen Paradigmenwechsel in der Musikrezeptionsgeschichte einleitete.

Fünfzig Jahre vor der ersten Erwähnung des Begriffes „absolute Musik“ zog Wackenroder aus dem Unsagbarkeitstopos - „der rhetorischen Phrase, daß das Wesentliche durch Worte kaum ausdrückbar sei“[90] - die Konsequenz, daß die Instrumentalmusik eine Sprache „über“ der Sprache sei, und wies der Emanzipation der Instrumentalmusik den Weg. Ludwig Tieck erkannte die Bedeutung der neuen Kunstauffassung, machte sie sich zu eigen und einer Öffentlichkeit zugängig.

 

Die vier untersuchten Problematiken bedingen sich gegenseitig: die Ablehnung der technischen Kunstkritik fußt auf der Idee der Vergöttlichung von Kunst; der Konflikt zwischen Kunst und Welt entspringt demselben Spannungsfeld und dem Anspruch der Musik als Universalsprache. Die vermeintlich widersprüchlichen Konzepte einer „heilig-heilen Malerkunst“[91], einer rückwärtsgewandten, kunstfrommen, harmonischen Ästhetik, und einer zweideutig-zweifelnden, gegenwärtig-„modernen“ und innerlich zerrissenen Tonkunst werden nebeneinandergestellt und sind Teil der dialektischen Kunstauffassung.

 

Der Aufwertung der Instrumentalmusik, der Umdeutung ihrer „ „Unbestimmtheit“ als „erhaben“ statt als „leer““[92], ging keine Veränderung der kompositorischen Praxis voraus, sondern sie war das Ergebnis eines intellektuellen Umdenkensprozesses. Insofern stellen die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ und die „Phantasien über die Kunst“ ein herausragendes Beispiel dafür dar, wie Literatur über Musik die ästhetischen und kompositorischen Vorstellungen einer Zeit maßgeblich beeinflussen kann.


6. Anhang

Inhalt der behandelten Werke

Die Beiträge von Ludwig Tieck sind kursiv gesetzt, wobei ich der Zuschreibung Tiecks aus der Wackenroder-Ausgabe von 1814 folge, Texte mit umstrittener Urheberschaft mit einem Stern gekennzeichnet. Siehe zur Verfasserfrage Kapitel 2.Entstehungsgeschichte.

 

Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders

An den Leser dieser Blätter

Raffaels Erscheinung

Sehnsucht nach Italien

Der merkwürdige Tod des zu seiner Zeit weitberühmten Malers Francesco Francia, des Ersten aus

der Lombardischen Schule

 

Der Schüler und Raffael

Ein Brief des jungen florentinischen Malers Antonio an seinen Freund Jacobo in Rom

Das Muster eines kunstreichen und dabei tiefgelehgrten Malers, vorgestellt in dem Leben des

Leonardo da Vinci, berühmten Stammvaters der Florentinischen Schule

 

Zwei Gemäldeschilderungen

Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst

Ehrengedächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers

Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft

Von den Seltsamkeiten des alten Malers Piero di Cosimo aus der Florentinischen Schule

Wie und auf welche Weise man die Werke der großen Künstler der Erde eigentlich betrachten und zum Wohl seiner Seele gebrauchen müsse

 

Die Größe des Michelangelo Buonarroti

Brief eines jungen deutschen Malers in Rom an seinen Freund in Nürnberg*

Die Bildnisse der Maler*

Die Malerchronik

 

Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger

Erstes Hauptstück

Zweites Hauptstück

 

Phantasie über die Kunst, für Freunde der Kunst

 

Vorrede

 

Erster Abschnitt

I.                 Schilderung, wie die alten deutschen Künstler gelebt haben: wobei zu Exempeln angeführt werden Albrecht Dürer nebst seinem Vater, Albrecht Dürer dem Alten

II.              Eine Erzählung, aus einem italienischen Buche übersetzt

III.            Raffaels Bildnis

IV.            Das jüngste Gericht von Michael Angelo

V.              Die Peterskirche

VI.            Watteaus Gemälde

VII.          Über die Kinderfiguren auf den Raffaelschen Bildern

VIII.        Ein paar Worte über Billigkeit, Mäßigkeit und Toleranz

IX.            Die Farben

X.               Die Ewigkeit der Kunst

 

Zweiter Abschnitt

Anhang einiger musikalischer Aufsätze von Joseph Berglinger

 

I.                 Ein wunderbares morgenländisches Märchen von einem nackten Heiligen*

II.               Die Wunder der Tonkunst

III.             Von den verschiedenen Gattungen in jeder Kunst und insbesondere von verschiedenen Arten der Kirchenmusik

IV.            Fragment aus einem Briefe Joseph Berglingers*

V.              Das eigentliche innere Wesen der Tonkunst und die Seelenlehre der heutigen Instrumentalmusik

VI.            Ein Brief Joseph Berglingers*

VII.          Unmusikalische Toleranz

VIII.        Die Töne

IX.            Symphonien

 

Der Traum - Eine Allegorie

 

 

*Urheberschaft umstritten

 


7. Literatur

·       Benz, Richard: Nachwort in: Wackenroder, Wilhelm Heinrich und Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 1979, S.125-135.

·       Bollacher, Martin: Wackenroder und die Kunstauffassung der frühen Romantik, Erträge der Forschung Bd. 202, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1983.

·       Claudon, Francis (Hrsg.): Lexikon der Romantik, Editions Aimery Somogy, Paris 1972.

·       Dahlhaus, Carl (Hrsg.): Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Band 5, Laaber-Verlag, Laaber 1985.

·       Dahlhaus, Carl und Zimmermann, Michael: Musik zur Sprache gebracht, Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten, ausgewählt und kommentiert von Carl Dahlhaus und Michael Zimmermann, dtv Bärenreiter, München 1984.

·       Dahlhaus, Carl: Die Idee der absoluten Musik, Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH&Co. KG, Kassel-Basel-Tours-London und Deutscher Taschenbuch-Verlag GmbH&Co.KG, München 1978.

·       Dahlhaus, Carl: Klassische und romantische Musikästhetik, Laaber-Verlag, Laaber 1988.

·       Dahlhaus, Carl: Musikästhetik, 3. Auflage, TB 255, Musikverlag Hans Gerig, Köln 1976.

·       Nehring, Wolfgang: Anhang, Dokumente – Erläuterungen, Bibliographie – Nachwort in: Wackenroder, Wilhelm Heinrich und Tieck, Ludwig: Phantasien über die Kunst, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 1983, S.121-158.

·       Wackenroder, Wilhelm Heinrich und Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 1979.

·       Wackenroder, Wilhelm Heinrich und Tieck, Ludwig: Phantasien über die Kunst, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 1983.



[1] Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, S.66f.

[2] Bollacher, S.121

[3] Bollacher, S.129

[4] Vgl. Benz, S.125 ff.

[5] Claudon, S.239

[6] Nehring, S. 129

[7] Benz, S.132

[8] ebda.

[9] Bollacher, S.3

[10] vgl. Benz, S.125

[11] Nehring, S.143

[12] ebda.

[13] vgl. Bollacher, S.14f.

[14] vgl. Nehring, S.143 f.

[15] vgl. ebda., S.144

[16] Benz, S. 132

[17] Bollacher, S.8

[18] ebda., S.9

[19] Dahlhaus, Musik zur Sprache gebracht, S. 187

[20] Nehring, S.147

[21] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen, S.5

[22] Benz, S. 131 f.

[23] ebda.

[24] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S.61

[25] ebda., S.41

[26] ebda., S.19

[27] ebda., S.105

[28] ebda., S.108

[29] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S.110

[30]  Dahlhaus, Musikästhetik, S. 61

[31] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S. 121

[32]  Dahlhaus, Musikästhetik, S.64

[33] vgl. Kapitel 2.Entstehungsgeschichte

[34] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.103

[35]  Johann Friedrich Reichardt (1752-1814), preußischer Hofkapellmeister, ab 1794 Mittelpunkt frühromantischer Dichter-Musiker-Treffen des Jenaer Kreises (rororo Musikhandbuch, Band 2, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1973, S. 582)

[36] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S.5 f.

[37] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.79

[38] Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, S.85

[39] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.81

[40] ebda., S.46

[41] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.80

[42] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S.8

[43] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.106

[44] ebda.

[45] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S.118

[46] ebda., S.106f.

[47] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S.119

[48] ebda., S.116f.

[49] Bollacher, S.126

[50] vgl. zur Einordnung von Wackenroder und Tieck in  „Sturm und Drang“ und „Vorromantik“ auch Dahlhaus, Klassische und romantische Musikästhetik, S.93 ff.

[51] Bollacher, S. 127

[52] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S.119

[53] Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, S.149

[54] Dahlhaus, Musikästhetik, S.63

[55] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.88

[56] ebda.

[57] Nehring, S.155

[58] Dahlhaus, Musikästhetik, S.60

[59] vgl. Bollacher, S.135

[60] ebda.

[61] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.89f.

[62] Bollacher, S.15

[63] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.91

[64] ebda., S.90f.

[65] ebda., S.65

[66] vgl. Dahlhaus, Musikästhetik, S.39ff.

[67] Dahlhaus, Musikästhetik, S.39

[68] Dahlhaus, Musik zur Sprache gebracht, S.173

[69] Wackenroder u. Tieck, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S.60

[70] ebda., S.62

[71] ebda., S.108

[72] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.67

[73] ebda., S.82

[74] ebda., S.68

[75] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.102

[76] ebda., S.67

[77] ebda., S.78

[78] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.85

[79] ebda., S.110

[80] ebda., S.108f.

[81] ebda., S.110

[82] ebda., S.112

[83] ebda., S.79f,

[84] Dahlhaus, Neues Handbuch der Musikwissenschaft, S.63

[85] Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, S.68

[86] vgl. Dahlhaus, Neues Handbuch der Musikwissenschaft, S.63

[87] Dahlhaus, Klassische und romantische Musikästhetik, S. 93

[88] Wackenroder u. Tieck, Phantasien über die Kunst, S.108

[89] ebda., S.107

[90] Dahlhaus, Musik zur Sprache gebracht, S.173

[91] Bollacher, S.122

[92] Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, S.67