copy causes music

sieben thesen zur debatte der urheberrechtsproblematik im internet

 

1.

Das Internet entstand als Netzwerk zum Austausch von Information, als Kommunikationsnetz. Auch die Entwickler des World Wide Web bezogen sich auf eine wissenschaftliche Community, in der Daten frei verfügbar sein sollten, niemand rechnete mit der inzwischen eingetretenen Verbreitung des WWW in die private und wirtschaftliche Sphäre.  Das Netz ist urheberrechtsfeindlich per se, da die Protokolle von Kommunikation, nicht von Transaktion ausgingen.

 

2.

Im Gegensatz zur realen Welt, in der die Aneignung von Gütern immer an einem materiellen Träger hängt, kann in der virtuellen Welt kopiert werden, ohne das Original anzutasten. Vielmehr entsteht kein Datenverlust bei der Kopie, die Bezeichnung „Original“ verliert ihren Wert (und was ist z.B. bei CD-Aufnahmen das „Original“? Das Masterband, die Liveversion, die gekaufte CD, die Wahrnehmung?). Kopierte Daten können verändert, verfälscht oder umgearbeitet werden, Remixing ist auch ein kreativer Prozeß, so daß „reine“ Urheber nicht ausfindig gemacht werden können.

 

3.

Die Anstrengungen der Software-Industrie, Kopierschutztechniken zu entwickeln, haben sich  seit den 80ern als vergeblich erwiesen. Hacker waren den Firmen immer einen Schritt voraus. Auch digitale Speicherformen von Musik, die mit Wasserzeichen oder dem Zerstören des Originals beim Kopieren arbeiten, werden zu cracken sein. „Sichere“ Musikformate gibt es nicht. Auf dem Weg zum Lautsprecher wird auch verschlüsseltes Material in Klangsignale umgewandelt, und ein Programm zu schreiben, das einen Lautsprecher simuliert und dabei aufnimmt, ist eine leichte Übung.

 

4.

Das Internet stellt neben dem Urheberrecht auch die herkömmlichen Vertriebs- und Produktionsmodelle in Frage. Die Open Source-Szene macht seit Jahren mit der Entwicklung von Linux und GNU vor, wie ein anderes Modell funktionieren kann: durch das Freigeben von Programmen und Codes finden sich neue Qualifikationen, Arbeitsbereiche und Verdienstmöglichkeiten. Für den wissenschaftlichen Bereich kursiert seit einigen Wochen ein offener Brief von der Public Library of Science im Netz, in dem biomedizinische WissenschaftlerInnen fordern, alle Artikel spätestens sechs Monate nach ihrer Papierveröffentlichung kostenlos in einer Online-Bibliothek zugänglich zu machen. Die ForscherInnen rechnen mit einer Vervielfältigung von produktiven und kreativen Kräften durch die Geschwindigkeit des Internet. Die Electronic Frontier Foundation, die in Sachen Free Flow of Information und Schutz der Privatsphäre maßgebliche Non-Profit-Organisation, stellte im April ihre Open Audio License (OAL) vor, die das Open Source-Prinzip auf Musik übertragen soll (http://www.eff.org/IP/Open_licenses/). Wenn es durch die technologische Entwicklung für die meisten Bands inzwischen erschwinglich ist, ihre Musik selbst aufzunehmen und zu produzieren sowie übers Internet direkt zu vertreiben, bliebe für die Plattenfirmen vor allem die Rolle des Filterns und des Marketing übrig. Die OAL, die nur verlangt, auf die UrheberInnen vollständig hinzuweisen, soll zur Steigerung des Bekanntheitsgrads einer Band führen, in dem nach Einschätzung der EFF die hauptsächlichen Verdienstmöglichkeiten von KünstlerInnen liegen. So wären zumindest in einem Teilbereich neue Perspektiven unabhängig von der herkömmlichen Musikindustrie denkbar wie Sharewaresysteme, Abonnements, Direktvertrieb, Werbewirkungen, Merchandising, Subszenen, Netzwerke.

 

5.

Die erheblichen Umsatzeinbußen, von denen die Musikindustrie spricht, sind weder nachprüfbar noch lassen sie sich zweifelsfrei auf den Onlinemarkt zurückführen. Bei dem angeblichen Schaden durch Raubkopien wird davon ausgegangen, daß die Kopien ansonsten gekauft worden wären. Auf diese Weise ergeben sich unrealistisch hohe Zahlen, die das Budget der User nicht hergeben würde. Das Herunterladen von Musik hat eher den Charakter von Jukeboxspielen, vom Reinhören im Laden, vom Ausprobieren. Wer Musik kennenlernt und gut findet, wird sich derzeit nach den Alben umsehen und diese kaufen. Wer mehr Acts kennt, kauft auch mehr Musik. Insofern ist das Netz als Werbeinstrument nicht zu unterschätzen. Zu keiner Zeit haben alternative Vertriebswege der Musikindustrie geschadet, die Maxime „copy kills music“ hält einem zweiten Blick nicht stand. Die Einführung von Radio mit dem kostenlosen Abspielen von Musik bedeutete nicht das Ende von Tonträgerverkäufen, ebensowenig die Leercassette, die durch eine Pauschalabgabe an die Verwertungsfirmen domestiziert wurde. Trotz scheinbarer Gefährdung bei der Einführung des Fernsehens konnte diese durch veränderte Strategien, der Nutzung als Werbekanal, und durch Zentralisationsprozesse zum Vorteil der Majors genutzt werden. Trotz der neu zu stellenden Urheberrechtsfrage im Netz ist das Ergebnis auch auf einem veränderten Markt relativ klar abzusehen. Der Kampf der Musikindustrie auf der „front stage“ gegen Raubkopien verdeckt den Blick auf die Konkurrenzkämpfe untereinander „backstage“, worum es im Rechtsstreit um Napster vor allem geht.

 

6.

Der entscheidende Faktor bei Onlinemusik ist die bequeme Verfügbarkeit des Gewünschten. Die meisten User wären bereit, eine Gebühr für Downloads zu zahlen, wenn es nur leicht genug ist, an das Gewünschte heranzukommen. So erklärt sich auch der Erfolg von Napster, den sich Bertelsmann mit dem Abonnementsystem zunutze machen will. Filtersysteme für „illegale“ Musikfiles und das von Napster geplante .nap-Format, das das Brennen von gezogener Musik verhindern soll, werden umgehbar sein. Es gibt seit langem Napster vergleichbare Filesharing-Programme wie Gnutella oder Freenet, die ohne zentralen Server auskommen und daher derzeit nur schwer zu kontrollieren sind. Durch verschärfte Gesetzgebung und die von der Industrie geforderten generellen Filtersysteme wäre dies allerdings möglich, resultierend in einem kontrollierten Überwachungssystem, bei dem eine Instanz vorschreibt, welche Files auf deinen Computer gelangen. Es bleibt die Frage, ob selbst die Verbreitung von kostenlosen Filesharing-Systemen unter den gegebenen Bedingungen das Ende der herkömmlichen Musikindustrie bedeuten würde, da die Marketingsysteme weiterhin durch Print- und Rundfunkmedien, die durch die Majorlabels strukturiert sind, funktionieren. Mit den an sie gebundenen Acts in der Hand wird auch die Online-Öffentlichkeit von den großen Firmen bestimmt werden. Insofern geht es in der Debatte um Internet-Copyright nicht um das Ende der Musikindustrie, sondern vielmehr um einen Hebel zur Kontrolle des Netzverkehrs und des neuen Markts.

 

7.

Die Debatte um Urheberrechte im Internet ist maßgeblich von Einzelinteressen bestimmt. Die großen Musikkonzerne sehen eine Gefahr für ihre Profite, Regierungen sehen sich in einem weniger regulierbaren internationalen Raum einem Machtverlust gegenüber. Ob die Vergütung der KünstlerInnen und AutorInnen, deren Sicherung das vorgeschobene Argument der Majors ist, auch ohne den Rahmen einer produzierenden und arbeitsteiligen Industrie möglich wäre, wird als Fragestellung verschwiegen. Die Argumentation von Politik und Musikindustrie zielt auf ein Abstecken der Wirtschafts- und Machträume und stellt ihrerseits eine Gefährdung der Privatsphäre, der Selbstbestimmung der Netizens dar.

[peer]